Ich nannte ihn „Acker“

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Über meine gemeinsame fußballerische Zeit mit dem „Schlächter aus Reinickendorf“

von Björn Leffler

Er war ein Fußballer, wie man ihn in einem Team einfach braucht. Er war kein zweiter Messi, er spielte keinen Beckenbauer-Außenrist-Ball, und auch den doppelten Doppelpass per Hacke beherrschte er nicht fehlerfrei.

Nein. Er war anders. Ich nannte ihn „Acker“, denn das war treffender als jeder andere Spitzname sonst. Wir spielten gemeinsam in unserer Freizeitmannschaft, für schnell vorübergehende acht Jahre. Ich stand im Zentrum der Abwehr, und er links von mir. Und da standen wir, da konnte kommen was wollte – dribbelstarke Gegner, stürmische Naturgewalten, der Kater vom Abend zuvor. Egal. Wir standen unseren Mann und knüppelten alles weg, was sich über die Mittellinie traute.

Es gab das berühmte blinde Verständnis zwischen uns. Ich konnte mir immer sicher sein, wenn ich einmal herausrücken musste aus dem Abwehrzentrum (und das war bei sechs Feldspielern auf dem Kleinfeld häufiger notwendig, als man vermuten würde), bewachte er hinter mir den mannschaftseigenen Defensivbereich so zuverlässig wie ein abgerichteter Kettenhund. Aus seinem zur Faust geballten Gesicht sprach es förmlich: „Du kommst hier nicht rein.

Schon wenn wir uns vor dem Anstoß auf dem Feld postierten, musterten die gegnerischen Feldspieler den 1,90-Meter-Hühnen ehrfürchtig. Aber erst als sie beim ersten Versuch, auf der linken Seite durchzustoßen, Bekanntschaft mit seinen sensenhaften Tacklings machten, dämmerte ihnen, was da auf sie zukommen würde.

Denn „Acker“ hieß nicht umsonst „Acker“. Egal ob es rauer Schotter, jahrzehntealter Kunstrasen oder abgelaufener Naturrasen war – „Acker“ bügelte alles weg, was ihm ihn die Quere kam. Oder gar an ihm vorbei wollte, aber das war natürlich eine durchaus optimistische Herangehensweise seiner Gegenspieler. Der stellte „Acker“ häufig einfach seinen kompletten Körper entgegen, was in den meisten Fällen auch schon reichte, um sich für die restliche Spielzeit den Flügelstürmer vom Leib zu halten – Stichwort „Sicherheitsabstand“.

„Acker“ war der Bruce Willis unseres Teams, der „Last Man Standing“, der bereits mit der geladenen Doppelläufigen im Anschlag stand, bevor sich die Teams überhaupt zum Warmmachen aufs Feld bewegt hatten. Schon im Kabinengang konnte es vorkommen, dass die gegnerische Mannschaft um den ein oder anderen Spieler dezimiert wurde. Ich sage nur: Bisswunden, melonengroße Hämatome, Splitterbrüche.

„Acker“ war die Lebensversicherung eines mit Künstlern und Ballvirtuosen überversorgten Teams, der humor- und klaglos in jeden Zweikampf ging, selbst wenn es nur der mannschaftsinterne Streit um das einzige Kabinen-WC war. Da musste man ganz, ganz vorsichtig sein.

„Acker“ warf sich natürlich nicht nur in Gegenspieler, sondern auch in alles andere, was da angeflogen kam, vornehmlich Flanken, Pässe und Schüsse. Dass er offenbar nicht die Fähigkeit besaß, Schmerzen zu empfinden, war dabei natürlich hilfreich. Als er einmal nach einem Kopfballzweikampf im Strafraum gegen den Torpfosten knallte, bildete sich im Aluminiumgestänge eine tiefe Beule. Der Pfosten litt sichtbar unter dem Zusammenprall. Er aber juckte sich nur kurz an der Stirn und sprang dann beherzt in den nächsten Bodycheck.

Es war eine Lust, eine wahre Freude, ihm beim Fußballspielen zusehen zu dürfen. Andere schauen sich Boxkämpfe, Ultimate Fighting oder Schlammcatchen an – mir reichten die gemeinsamen, sonntäglichen 90 Minuten, in denen wir paarweise durch die Reihen der gegnerischen Angreifer pflügten, als wären sie reife Ären.

Es wurde quasi zur Selbstverständlichkeit, dem Gegenspieler zur Begrüßung gleich beim ersten Eckball mit dem Knie voran in den Rücken zu springen, einfach um sich erstmal vorzustellen.

Es war eine wundervolle, raue und blutige Zeit. Aber alles muss leider irgendwann mal ein Ende haben, und so kam es, wie es kommen musste. Irgendwann wurde „Acker“ wegen zu hartem Spiels aus der Freizeitliga ausgeschlossen. Und das ohne rechtlich gültigen Prozess oder eine Anhörung vor der Mannschaftsleiterversammlung. Er wurde sprichwörtlich auf die Straße gesetzt, in die soziale Isolation. Ich konnte nicht anders, als mich mit ihm zu solidarisieren und ebenfalls aus der Freizeitliga auszutreten.

So endete dann unsere gemeinsame fußballerische Karriere. Unsere Mannschaft gewann nie wieder ein Spiel. Sie schossen weiterhin wunderschöne Tore, aber sie waren hinten offen wie die Berliner Mauer am 10. November ’89.

Wir konnten uns dies nur ein paar Mal mitansehen, zu groß war der Schmerz. Außerdem hatten wir schon etwas Neues in Angriff genommen, das unsere ganze Aufmerksamkeit erforderte. Wir machten eine Berufsausbildung in einem Brandenburger Schlachtereibetrieb.

Schuster, bleib bei Deinen Leisten.

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