Alles für die Schlagzeile

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Das Internet als Informationsmedium funktioniert hauptsächlich über Schlagwörter, denn diese sind die Schlüssel für Aufmerksamkeit im Web 2.0. Auf der Suche nach medialer Reichweite und dem entsprechenden wirtschaftlichen Erfolg bleibt die Aufrichtigkeit auf der Strecke. Keine journalistischen Filter mehr, nur noch boulevardeske Sensationskonstruktion. Besserung ist nicht in Sicht.

Das Jahr 2016 wird unter dem Schlagwort „postfaktisch“ in die Geschichte eingehen. Es ist ein Jahr, welches in einer Welt voller komplexer Problemlagen von windigen Populisten möglichst einfache Antworten fernab der Realität dargeboten bekam. Gefühlte Wahrheiten und Fake-News bestimmen die gesellschaftspolitische Kultur. Diese Art der Kommunikation ist dabei ein Phänomen, welches sowohl Rückschlüsse auf den Kommunikator als auch Rückschlüsse auf den Rezipienten zulässt. Sind die verbreiteten realitätsfernen Botschaften schon schlimm genug, so treibt die scharenweise Aufsattelung auf der Information und Verbreitung dieser ungeprüften Fakten die Welle der Ungehobeltheiten auf den Gipfel. Dabei ist nur eines wichtig: Die Schlagzeile. Und dahinter steckt letztendlich nur eines Egoismus. Und so wird geschrieben und gesagt, was die Wölfe am meisten heulen lässt. Für die Tatsachen interessiert sich ohnehin nur ein geringer Teil der Bevölkerung.

Auch in Sachen Sport ist diese Handhabe gang und gebe. Die Emotionalität des Sports und die Visionen und Ängste der jeweiligen Fankulturen werden durch einen Großteil der Medien willkommen als Marktpotential aufgegriffen und als Ankerpunkt der Skandalisierung, Sensationsheischerei und des narrativen Erfindungsgeistes genutzt.

Betrachten wir dies am Beispiel von Borussia Dortmund und der Nachrichtenlage der letzten zehn Tage. Infolge der Pressekonferenz von Thomas Tuchel, bei der er von „einem einzigen Defizit“ in allen Lebenslagen sprach, richtete sich der mediale Fokus noch intensiver auf die Stimmungslage in Dortmund. Nachdem der schnelle Ärger ein wenig verflogen war, kamen dann die Artikel, die sich dann mit den vermeintlich strukturellen Defiziten auseinandersetzten. Um die wankelmütigen Leistungen des BVB zu erklären, müsse es doch Ursachen geben, die sich genüsslich ausschlachten lassen.

Die „Schuldigen“ waren hierfür dann mal wieder schnell ausgemacht und wenig überraschend traf es unter anderem den werten Herren mit der Nummer 10 der Schwarz-Gelben. Schließlich kann man damit hinsichtlich der Klickzahlen im Internet nicht so ricjtig etwas falsch machen. Frei nach dem Motto: Damit kanns jeder. Wenn man nach Informationen zum BVB im Internet recherchiert, taucht vor allem der Name Mario Götze kontinuierlich auf und das immerhin seit kanpp sechs Jahren. Selbst in seiner Zeit bei den Bayern wurde sein Name im Titel mit dem Zusatz Ex-BVB-Spieler versehen, um auch die Dortmund-Anhänger auf den Artikel hinweisen zu können. Auch wenn hierbei eigentlich nichts verwerfliches zu entdecken ist, entsteht daraus jedoch eine frappierende Eigendynamik. Eine Meldung ist nunmehr nichts wert, sofern eben nicht die öffentlichkeitswirksamen Codes integriert werden. So werden mitunter Transfergerüchte aufgewertet durch die Integration großer Vereine, nur um im selben Artikel die eigene Spekulation als vollkommen haltlos darzustellen.

Hinsichtlich der Transferpolitik wurde dann gleich die nächste Geschichte lanciert. Die vermeintliche Absprache zwischen dem BVB und Real Madrid, dass kein Dortmunder den Verein erwäge zu verlassen, ohne das die Königlichen davon Wind bekommen würden, wurde von einem Medium geschrieben und von gefühlt zwanzig weiteren rezitiert. Immerhin tauchten in der Meldung gleich zwei Namen bedeutender Vereine in Europa auf und das Transfergerüchte-Ding geht ja auch immer.Schließlich konnte man noch die Namen Aubameyang, Weigl, Reus und Gündogan integrieren. Auch vergangene Transfers bekommen so auf die Schnelle eine journalistische Renaissance. Sascha Fligge, der Pressesprecher des BVB wies bei einer Pressekonferenz letzte Woche darauf hin, dass lediglich ein Medium der über zwanzig, die das Thema aufgegriffen haben, beim Verein diesbezüglich nachgefragt hätte. Darüber hinaus sei an der Geschichte nichts dran, auch weil es eben kein Vorteil für die Borussia aus einem solchen Deal gibt. Nichtsdestotrotz die Story geisterte durch das Internet und verselbstständigte sich ohne jegliches Fundament.

Die Pressekonferenz vor dem Spiel des BVB bei der TSG 1899 Hoffenheim wurde dann auch gleich von Thomas Tuchel und Sascha Fligge genutzt, um auf diese Missstände hinzuweisen und einen aufrichtigen Umgang einzufordern. Der Aufhänger war die Story der letzten Tage, dass Tuchel im Training Mario Götze (aha!) mit dem Ausspruch „Ist ja wie in der C-Jugend“ „rund gemacht“ hätte. Tuchel stellte im Rahmen der PK klar, dass er mit seinem Spruch „Das ist ja wie in der B-Jugend“ (übrigens B) eine Trainingsgruppe von zehn Profis gleichzeitig meinte und eben nicht explizit Mario Götze meinte. Eine Richtigstellung, die offensichtlich wenig auf Resonanz stieß. Denn nur wenige Stunden später war dann erneut eine interessante Schlagzeile bei AMP wahrzunehmen: „Tuchel von Götze und Schürrle enttäuscht!“

Die Story dahinter: Auf der Pressekonferenz kamen die Leistungsschwankungen der beiden Sommer-Neuzugänge zur Sprache. Tuchel wurde gebeten deren Rolle einzuschätzen und tat dies in gewohnt komplexer Weise und bezog dabei die Faktoren eines verspäteten Einstiges nach der Europameisterschaft und unterbrechende Verletzungen mit ein. Er kam zu dem Schluss, dass dies gegen eine schnellere Ankunft auf dem sie entsprechenden Niveau gewirkt habe und dass er sich dies natürlich auch anders gewünscht hätte, aber man eben dies in eine wertende Betrachtung miteinbeziehen müsse. Nichtsdestotrotz wurde dies durch den Sportnachrichtendienst AMP zu der oben erwähnten Schlagzeile verwurstet und auf den Sinngehalt verkürzt, der der Journaille am Einträglichsten erscheint. Die Klickzahlen werden entsprechend einträglich gewesen sein in den letzten Stunden. Nichtsdestotrotz entspricht diese Schlagzeile nur ansatzweise der Wahrheit.

Man könnte meinen, dass der postfaktische Sportjournalismus auf dem vermeintlichen Zenit angekommen sei, aber meistens dauert es nur wenige Wochen bis eine neue Dimension der Wahrheitskonstruktion erschlossen wird. Schließlich sind die Verkaufszahlen wichtiger als der Informationsgehalt. Eigentlich bräuchte man jedoch keine Pressekonferenzen mehr abhalten, wenn es reichen würde, lediglich zwei Wörter in den Raum zu schmeißen, damit der notwendige Hauch von Authentizität geliefert wird. Damit würde dann aber auch die letzte Möglichkeit für die Vereine verloren gehen, werthaltige Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und dem journalistischen Geschäft würde vollends der Bezug verlustig gehen.

Unsereins muss sich dementsprechend wieder einen neuen Umgang mit Medien antrainieren. Während ich früher gerne mal nach den neuesten Informationen gegooglet habe, unterlasse ich dies nunmehr aufgrund der wahrgenommenen Zeitverschwendung. Die beste Quelle sind die Video-Mitschnitte der jeweiligen Pressekonferenzen der Vereine und liefern unverfälschte Einblicke in die Stimmungslage. Darüber hinaus lohnt sich ein Blick in die Sport-Rubriken des Print-Bereichs. Diese sind mehr auf qualitative Berichterstattung angewiesen, um sich von den absurden Auswüchsen im WorldWideWeb abzugrenzen. Hierin liegt im Allgemeinen auch die Chance des Print-Bereichs wieder auf die Füße zu kommen. Recherchierte Informationen mit einer ansprechenden redaktionellen Bearbeitung. Das sollte die Zukunft sein. Wir können ja mal versuchen, daran mitzuwirken…

Zur ironischen Brechung nun noch ein paar gängige Namen des Geschäfts, die alle nichts mit dem Artikel zu tun haben, aber um Aufmerksamkeit auf diesen zu lenken, vielleicht ganz einträglich: Messi, Ronaldo, Hoeneß, Beckenbauer, Ibrahimovic und natürlich Lothar Matthäus. Im Sinne einer letzten Authentizität werde ich dennoch hierfür keine Hashtags setzen.

Axel Diehlmann
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