Der Mann mit der grauen Schlabberhose

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PANENKA-Autor und Hertha-Fan Björn Leffler erinnert sich an ein schmerzhaftes Wiedersehen mit Herthas Torhüter-Legende Gabor Kiraly

Und dort stand er dann plötzlich, in Großaufnahme. Als wäre er nie weg gewesen, als wäre er immer noch einer der Unsrigen. Die graue Schlabberhose, das gelbe Trikot. Nur das Emblem der „Löwen“ auf seiner Hose schien nicht so zu passen, und die etwas lichter gewordenen Haare deuteten an, dass nun doch etwas Zeit vergangen war seit dieser Zeit, in welcher Herthas bislang herausragendster Torhüter zwischen unseren Pfosten stand: Gabor Kiraly.

Der Mann mit der grauen Schlabberhose.

Zu Gabor brauche ich nicht viel zu sagen. Für all jene, die den Verein mindestens seit dem Wiederaufstieg 1997 begleiten, hat er sich unweigerlich ins Stammhirn gebrannt. Denke ich an Gabor, habe ich ganz konkret drei Szenen im Kopf:

  1. Eine unglaubliche Parade im Champions-League-Vorrunden-Spiel beim AC Mailand im Guiseppe Meazza Stadion. Er kratzte einen Freistoß der Milanesen aus dem linken Dreiangel, und die erfolgsverwöhnten Funktionäre auf der Tribüne wollten beinahe verrückt werden. Wer war schon Hertha? Zwei Spiele später und um ein Unentschieden und eine Niederlage gegen den Hauptstadtklub aus Deutschland reicher, wussten sie, wer wir waren. Und es war Gabor, der den größten Anteil daran hatte.
  2. Eine von einem RBB-Kamerateam während des Trainings gefilmte Aufnahme: Gabor wirft den Ball gegen die Latte des eigenen Tores, von wo aus der Ball zum eigenen Mitspieler springen sollte. Leider verbot Jürgen Röber die Ausführung dieses Kunststückes in einem Pflichtspiel, es kam niemals zur Live-Durchführung.
  3. Seine Tränen, als er nach sieben Jahren Hertha verabschiedet wurde. Aufgrund der Tatsache, dass er eine nicht ganz einwandfreie Hinrunde hinter einer desolaten Abwehr gespielt hatte, wurde er von Christian Fiedler im Tor verdrängt und verließ daraufhin den Verein. Ein Transfer, der so unnötig wie schmerzhaft war. Aber geschehen ist geschehen. Gabor fand sein Glück dann in England und spielte mehrere erfolgreiche Jahre in der Premier League.

Auswärtsspiele pflege ich häufig mit Familie und Freunden im „Kuchl Eck“ zu schauen, einer Wilmersdorfer Eckkneipe, die für den „rauen Charme“ des Service-Personals berüchtigt ist. Schnauze mit Herz und so.

Wir hatten uns zu einem DFB-Pokal-Zweitrundenmatch eingefunden, es war die Saison 2009/10, an deren Ende wir als Tabellenletzter in die 2. Liga absteigen sollten. Welches Martyrium in den kommenden Monaten vor uns liegen würde, war uns in diesem Augenblick glücklicherweise noch nicht bewusst. In diesem Moment hofften wir erst einmal auf einen seltenen Einzug in die dritte Pokalrunde, bei einem eigentlich machbaren Gegner, dem TSV 1860 München, seines Zeichens Zweitligist. Und in dessen Diensten stand 2009 eben – Gabor Kiraly.

Die ersten 70 Minuten wurden von den spärlich Anwesenden mit der seinerzeit nötigen Gelassenheit und dem berlintypischen Galgenhumor genommen. Anspielend auf die Farbe von Herthas Auswärtstrikots ließ sich einer der Gäste zur politisch gefärbten Äußerung „Schwarz Rot steht auf der Kippe“ hinreißen. Ein anderer war von der dargebotenen Leistung so irritiert, dass er sich bei der Kellnerin darüber beschwerte, dass sein Camembert nicht gebacken sei, jedoch hatte er den übermäßig großen Butterklecks mit dem unter der „Sättigungsbeilage“ versteckten Camembert verwechselt. Gut, kann ja mal vorkommen.

Als alles seine Ordnung hatte, kam auch Hertha irgendwie auf Touren, erwartet hatte es niemand mehr, und da ich leider nicht die Fähigkeit des Galgenhumors mein Eigen nenne, war ich der Verzweiflung schon sehr nahe. Das Team von 1860 München führte völlig verdient mit 2:0. Gabor Kiraly war wohl ganz froh, dass er das Spiel gegen seinen geliebten Ex-Club bislang ohne größere Konfrontationen überstanden hatte.

Der überraschende Doppelschlag zum 2:2 machte plötzlich wieder Hoffnung und die Kneipe munter. Zu Beginn der Verlängerung war die Bude plötzlich gerammelt voll und Hertha in eine Art Spielrausch verfallen. Einmal Kacar, zweimal Pisczeck und nochmal Ramos vergaben hundertprozentige Torchancen, Pfostentreffer inklusive. Fäuste hämmerten auf Tischplatten, Stiefel traten gegen Tischbeine, verzweifelte Wutschreie verhallten unkommentiert. Darunter meine eigenen.

Olympiastadion_Berlin

Letztendlich jedoch, nach dem letzten verwandelten Elfmeter des Elfmeterschießens (wir verloren es 1:4), stand er dort wieder, inmitten jubelnder 60er, und lächelte leicht. Das, lieber Gabor, tat dann wirklich weh. Aber einen Vorwurf konnten wir Dir natürlich nicht machen. Man brächte es einfach nicht übers Herz. Allerdings sei dennoch kurz erwähnt, dass Du ja vieles warst – aber nie ein wirklicher Elfmeter-Killer. Außer im Spiel gegen uns. Aber gut, wir unken nicht!

Denn die Jahre bei uns, Deiner blauweißen Hertha, waren auch für Dich die erfolgreichsten Deiner Karriere. Es hat einfach alles gepasst, fast alles jedenfalls. Bis auf eine einzige, vermaledeite Hinrunde. Aber lass uns nicht weiter darüber nachdenken… Lass uns noch einmal zurück schauen und in Erinnerungen schwelgen.

Im Übrigen: Gabor Kiraly spielt immer noch aktiv Fußball. Erst im vergangenen Jahr wechselte er vom FC Fulham zurück zu seinem Heimatverein Haladás Szombathely. Zusätzlich gelang ihm mit der ungarischen Nationalmannschaft die Qualifikation für die Europameisterschaft in Frankreich. Am 1. April 2016 wird Gabor Kiraly 40 Jahre alt.

Auf Dich, Gabor. HA HO HE.

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