Die Geister, die ich rief…

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..die werd ich nicht mehr los. Wie die gesamte Fußballkultur an der medialen Versorgung krankt. Die Torlinientechnik und der Videobeweis als Aushandlungsfelder zwischen Technik und Romantik.

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„Großes Tennis“ – So kommentierten Teile der Dortmunder Fanszene in ironischer Weise die Preispolitik des VfB Stuttgart hinsichtlich des DFB-Pokal-Viertelfinals letzte Woche und warfen plüschige Tennisbälle auf das ihrem Block vorgelagerte Spielfeld. Die Initiative „Kein Zwanni! – Fußball muss bezahlbar sein für alle“ setzt sich seit Jahren gegen das rasante Wachstum der Eintrittspreise zu wehr und boykottierte unter anderem Spiele beim Hamburger SV, um auf ihre Lage hinzuweisen. Nun geriet der VfB Stuttgart mit den aufgerufenen Preisen in den Fokus der Auseinandersetzung. Der VfB betonte, die Preise orientierten sich an gängigen Bundesliga-Preisen, bei denen der für den BVB übliche Topzuschlag erhöhte Preise ermögliche. Ein sehr kleines Kontingent an Karten war für 19 Euro erhältlich. Der Hauptteil der Karten war jedoch erst ab 60 Euro zu ergattern. Es kam, wie es kommen musste – der VfB schaffte es nicht, die Karten für das Spiel komplett an den Mann zu bringen. Plätze blieben leer. Wohlgemerkt bei einem Pokalviertelfinale zwischen zwei sogenannten Traditionsvereinen des Geschäfts mit jeweilig großen Fanszenen. Wirklich großes Tennis.

Ähnlich wie beim Tennis werden in letzter Zeit vermehrt technische Hilfsmittel zu Rate gezogen, wann der Ball zu welchem Zeitpunkt dies- oder jenseits einer bestimmten Linie war. Im Unterschied zur Präzision des Tennissports kommen diese Mittel im Fußball aber nur selten zum Einsatz – es sei denn man will es unbedingt. Mir kommt es so vor, als ob die DFL ein kleines Kind wäre, dass mit seinem neuen Lieblingskuscheltier nun unbedingt überall hinrennen muss, wenn nötig auch auf Klo. Es wird in irrationalerweise nicht mehr von der Hand gelassen. Die Situation spielt keine Rolle – was zählt ist die Präsenz. So verhält es sich nun mit der Torlinientechnik und dem Videobeweis.

Eines sei vorweggestellt: Die Torlinientechnik ist vorteilhaft. Noch heute bekomme ich Alpträume von der Szene, wie Dante mit seinem rechten Bein auf der Torlinie des Berliner Olympiastadions steht und mit dem linken Bein weit ins Tor hinein ausholt, um den Hummels-Kopfball aus dem Tor hinauszudreschen. Es war das 1:0 im Pokalfinale gegen die Bayern, welches keine Anerkennung fand. Dortmund verlor das Spiel und die Bayern-Fans konnten wieder ihrer Klatschpappen betätigen. Eine Fehlentscheidung, die wehtat und letztendlich der Grundstein für einen Bewusstseinswandel beim DFB und der DFL war. Es ist richtig, bei einer solch zentralen Entscheidung, dem Schiedsrichtergespann zu helfen. Die Information darüber, ob der Ball drin war oder nicht, gehört auf die Uhr des Schiedsrichters. Kein Ding. Schrecklisch ist nur der mediale Fetisch der mit der Torlinientechnik damit betrieben wird.

 

Von der grauen Einfärbung des Torraums, der computerspielartigen Simulation und dem in Nahaufnahme gezeigten Ball vor der Linie fühle ich mich eigentlich nur angewidert. Der Zuschauer wird für dumm verkauft. Als ob eine einfache Zeitlupe nicht ausreichen würde, um eine Entscheidung für sich zu treffen, wird die Simulation dann noch rot oder grün eingefärbt, um auch dem letzten Idioten vor dem Fernseher zu verdeutlichen, womit er es hier gerade zu tun hat. Der Spieltrieb der Fußballregisseure nimmt dem Fußball nun jegliche Romantik. Auf einmal stellt sich da irgendwas in mir quer – das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung und vor allem die innere Skepsis, ob der Ball nun doch auf der Linie war oder nicht. Also das was die Quelle und der Motor für Herzblut und Leidenschaft in diesem Sport ist. Es fühlt sich an, als ob irgendjemand altklug daher kommt, um dir deine innere Auseinandersetzung auszutreiben.

Noch schlimmer ist der inflationäre Einsatz der Torlinientechnik durch die technikverliebte Fußballberichterstattung. Nach dem Motto: „Jetzt, wo wir das Teil haben, schauen wir doch mal, was da so rauskommt“ werden Bälle, die einen halben Meter von der Torlinie entfernt sind, gescannt und mit dem überraschenden Ergebnis versehen, dass der Ball nicht im Tor war und das Spiel zu recht weiterlief. Verrückt, dass die Spieler auf dem Platz einfach so weitergemacht haben, ohne diese beeindruckende Erkenntnis.

Die Diskussion um den Videobeweis ist dabei noch schlimmer. Die Notwendigkeit des Videobeweises ergibt sich eigentlich erst seitdem in 50.000 Sendungen nach dem Spiel jede potentielle Fehlentscheidung ausgeschlachtet wird. Jeden Sonntag oder Montag kommen die Besserwisser um die Ecke, die mit roten Stiften Striche übers Spielfeld ziehen und Scheinwerferlicht auf ein Spieler setzen, um der versammelten Fußball-Öffentlichkeit zu erklären, dass er in dieser Situation wohl besser zwei Meter weiter links gestanden hätte. Wenn nichts mehr hilft, kommt dieses unerträgliche „Ein Profi muss da stehen“, oder „ein Mann seiner Klasse sollte diese Situation antizipieren können.“ Man fragt sich, ob diese Menschen eigentlich jemals aufm Platz gestanden haben, um die schwierige Kalkulation von Entscheidungen im sportlichen Wettkampf mal erlebt zu haben. Und dann blickt man in das fahle Gesicht des Thomas S. und man denkt sich: „Was ärlaubä Struuunz…?“. Diese sich wie Militärveteranen aufführenden Thons, Helmers und Strunzis sind diejenigen, die den Videobeweis wollen, um ihre bedeutungslose Tätigkeit gesellschaftsfähig zu machen. Die Entscheidung über Situationen auf dem Platz neben dem Platz zu treffen, spielt diesen emotionslosen Irrlichtern in die Karten.

Der Fußball ist dabei, sich von diesen Quacksalbern seine Seele nehmen zu lassen. Wenn jede Entscheidung auf den ultimativen Prüfstand kommt, ist niemandem geholfen. Der Chip im Ball ist wohl die beste Lösung – dezent und schnell einsetzbar. Der Rest ist einfach nur medialer Mumpitz. Im Mittelpunkt sollten die Entscheidungen der Protagonisten stehen, der Spieler wie auch der Schiedsrichter. Dazu gehören auch Fehlentscheidungen, der Spieler als auch der Schiedsrichter. Das Spiel benötigt die Konzentration auf das Geschehen auf dem Platz und ein gewisses Maß an Chaos – ohne jenes wäre es nur Tennis.

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