Die Sehnsucht nach der großen Story – Gedanken zum Deadline-Day

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Der Titel dieses Artikels hätte auch anders lauten können: so etwas wie: „Der Deadline-Day macht nachdenklich“ oder: „Der Deadline-day als Symbol des Verfalls der Fußballkultur“. Alternativ ginge auch: „Wozu noch Sport? – Wir haben doch die Spekulation!“ Am besten wäre aber: „Es lebe der Konjunktiv!“.

Wir schreiben Montag, den 01. Februar 2016. Ein normaler trister Tag in Mitteleuropa, ein Tag der einem die unendliche Trostlosigkeit der Wintermonate mit dem wärmenden Gedanken aufpoliert, dass der Januar geschafft ist und die Helligkeit des Morgens die Verheißung des irgendwann in den nächsten acht Wochen aufkeimenden Frühlings bedeutet. Es ist Montag, eine beginnende Woche, die Rückkehr des Alltags… In die allumfassende Normalität dieses Tages tritt der neumodische Fußballkult des Deadline-Days, welcher seinen Ursprung europäisch gesehen in der englischen Sportberichterstattung hat, seinen Gründungsmythos für den deutschen Raum aber durch ein defektes Faxgerät erhielt.

Es geschah im Februar 2011, als der Wechsel von Eric-Maxim Choupo-Moting vom Hamburger SV zum 1. FC Köln scheiterte, weil die entsprechenden Unterlagen nicht rechtzeitig bei der DFL eingereicht wurden. Eigentlich keine große Sache, wäre der Grund nicht so kurios für die Technologie-affine Welt des 21. Jahrhunderts. Das gute alte Faxgerät hatte den Geist aufgegeben, die DFL stellte auf stur und der Wechsel platzte. Ähnliches widerfuhr Kevin Großkreutz im letzten Transferfenster im Sommer 2015. Sein Wechsel von Borussia Dortmund zu Galatasaray Istanbul war beschlossene Sache, lediglich die notwendigen Vertragsunterlagen wurden den entsprechenden Behörden nicht rechtzeitig übermittelt. Auch hier ging es um ein paar Minuten, die den Ausschlag dazu gaben, dem Neuzugang die Spielberechtigung zu erteilen. Kevin Großkreutz wechselte nach Istanbul als das, was er war: Trainingsweltmeister. Seiner Integration ins Team kam dies nicht zugute. Am Wochenende nicht gebraucht, flog er stets nach Hause zu seinen Dortmunder Jungs und wurde dementsprechend selbst in Anwesenheit von Lukas Podolski nicht heimisch am Bosporus. Seit Beginn der Rückrunde spielt er nun für den VfB Stuttgart, weil die Nichtsnutzigkeit das Heimweh ins Unermessliche steigen ließ.

Zwei Geschichten, die zwar auch auf technische Probleme zurückzuführen sind, aber ohne die Vereinspolitik des letzten Drückers niemals möglich gewesen wären. Und schon befinden wir uns mitten in den Sphären des fußballerischen Zeitgeistes. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Das große Geschäft des Fußballs lässt die Spieler zu Aktien werden. Einhergehend werden der Marktwert eines Spielers und dessen Wachstumsprognose zur Kategorie der Auseinandersetzung. Die Zielsetzung des ist dabei stets die Profitmaximierung, die langwierige Verhandlungen erzeugen, die mit dem Faktor Zeit kokettieren. Es geht darum die Verzweiflung der suchenden Manager auszureizen. Zu welchen Preisen ist der Verhandlungspartner bereit, um seine Mannschaft vor dem Abstieg zu retten oder gar so zu verstärken, dass eine ernsthafte Anwartschaft zu einem Titel herausspringt?

Michael Zorc scheiterte in dieser Winterpause mit gleich drei Verhandlungen. Eigentlich ein Armutszeugnis für einen Verein wie Borussia Dortmund, symbolisiert es aber die Schwierigkeiten des Geschäfts im Winter. Yunus Malli, Oliver Torres und Mikel Merino waren laut den Ruhr Nachrichten, der einzig einigermaßen verlässlichen Quelle in Bezug auf den BVB, sich mit dem BVB einig. Die Verträge waren ausgehandelt, die Wechsel scheiterten jeweils am Veto der jeweiligen Vereine. Im Umkehrschluss heißt dies: es scheiterte an der Ablösesumme. Zorc bestätigte die Verhandlungen, betonte aber, dass er nicht bereit sei, die aufgerufenen „Mondpreise“ zu entrichten. Die heimische Presse jedenfalls lechzte schon nach dem großen Transfer-Coup. Malli war die Vorzeige-Story, die über Wochen die Spekulationen antrieb. Die Verdichtung der Informationen war das Leitmotiv der entsprechenden Sportberichterstattung. Christian Heidel reagierte genervt, Thomas Tuchel versuchte gelassen und hoffnungsvoll zu bleiben. Allen war bewusst, dass es den Medien schon längst nicht mehr nur um einen Transfer ging, sondern um eine Story: Malli sollte zur überragenden Verstärkung des Kaders der Borussia hochstilisiert werden. Da passte allzu gut, dass Mainz sich gegen den Deal entschied und damit Yunus Malli als Garant des Klassenerhalts inszeniert werden konnte. Kaum war Malli Geschichte, wurde die nächste Sau durchs Dorf getrieben. Der junge Spanier Oliver Torres von der Reservebank von Atlético Madrid war auf einmal der „Thiago für Tuchel“. Entsprechend war wohl auch die aufgerufene Transfersumme. Auch hier platzte der Deal. Offenbar jedenfalls wurde daran die Sehnsucht der Medien nach der großen Transfersensation.

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Die Transfermodalitäten von Borussia Dortmund sind nur ein kleiner Ausschnitt des ganzen Theaters. Das Transferfenster öffnet den Raum für die wilde Spekulation, die zum Selbstzweck der Berichterstattung wird. Anscheinend von besonderer Brisanz ist der Moment des Transferschlusses, der Moment ab dem nichts mehr geht. Und dabei ist viel Geplärre um Nichts im Umlauf. Der Deadline-Day ist der mediale Gipfel dieser Inszenierung. Die Berichterstattung des gesamten Tages dreht sich um Gerüchte und Gerüchte von Gerüchten. Die gehobene Langeweile, die entsprechend entstehen muss, wird durch die Dramaturgie einer herunterlaufenden Uhr noch getoppt. Weiterhin werden sinnfreie Dialoge mit fragwürdigen Experten wie Thomas Strunz oder Axel Kruse geführt, an dessen Ende keiner schlauer ist als zuvor, weil sich jedes Gespräch in einem beseelten „eventuell könnte da noch was passieren“ auflöst. Die Logik eines armseligen Sportjournalismus, der lieber um den heißen Brei redet, als Fakten zu übermitteln. Es entsteht der Eindruck, dass nur eine zähe Verhandlung im Sinne der journalistischen Lobby eine gute Verhandlung ist. Eine schnelle Einigung als Feindbild. Der Rattenschwanz der Berichterstattung möchte bedient werden und konstruiert sich mangels Informationen eine Parallelwelt der Gerüchteküche. Und dabei sollte ordentlicher Journalismus die umtriebigen Informationen nicht einfach nur wiedergeben, sondern filtern, nachrecherchieren und einordnen. Anscheinend zu viel verlangt angesichts der medialen Hysterie unserer Zeit.

Hinzu kommen die überbordenden Einordnungen von banalen Transfers. Dass der Wechsel von Serdar Tasci von Spartak Moskau zu Bayern München als „Transferhammer“ bezeichnet wird, ist nur der Gipfel des Eisbergs. Auch bei Josip Drmic, der gestern auf den letzten Drücker zum HSV chauffiert wurde, stellte sich alsbald der Sammelbegriff „Königstransfer“ ein. Natürlich nicht ohne den Hinterausgang des Konjunktivs. Die stete Suche nach der „Sensation“, wo keine ist. In der großen Verzweiflung werden sogar die Vereinsforen durchforstet, in denen meist utopische Transferoptionen diskutiert werden. Name-dropping als Prinzip des Deadline-Day, dessen Ziel die Suche nach neuen Helden ist. Notfalls werden dann Altgediente wie Hugo Almeida als „Heilsbringer“ dargestellt.

Und dann wäre da noch das große Konzert der Eventualitäten, bei dem es eigentlich nur darum geht, ein paar „Mondpreise“ fallen zu lassen. Wieviel ist Aubameyang dem BVB wert? Würde der Verein einem 90 Millionen-Angebot aus England standhalten? Wieviel wird der nächste Transfer von einem 17jährigen belgischen Supertalent kosten? 50 oder 60 Millionen Euro? Wird Leroy Sané sich im Sommer dem FC Barcelona oder RB Leipzig anschließen? Welch absurde Auswahl, die aber gleichzeitig die Dimension des Projektes Red Bull aufweist. Und nicht zuletzt wird der Jahrmarkt der Eitelkeiten bedient, der untrennbar mit dem Transfermarkt verbunden ist: Ist Christiano Ronaldo eigentlich neidisch auf Gareth Bale, weil dieser als Erster die 100 Mio-Marke gesprengt hat?

Es wird eine Realität geschaffen, die sich an dieser marktwirtschaftlichen Logik aufgeilt. Die Perversion in Perfektion. Es dreht sich einem der Kopf, wenn man ein wenig in diese Berichterstattung reinlukt. Weniger wegen den Preisen – die Teil der absurden Normalität des Kapitalismus sind – als bezüglich der wahnwitzigen Auto-Karten-Mentalität des Höher-Schneller-Weiter, die das Symposium der Oberflächlichkeiten bedient. Die Folge ist aber geistige Leere – es gibt kaum eine sinnfreiere Szenerie im Umfeld des Sports. Da sind selbst die Machenschaften der FIFA facettenreicher. Es bleibt dabei: Viel Lärm um Nichts!

Wir schreiben den 1. Februar 2016. Es ist eine graue Zeit, vor allem für den Fußball. Es bleibt die Erkenntnis, die gleichsam von Peter Lustig und dem Kastenbrot Bernd verkündet wurde: „Und jetzt, abschalten!“ Der nächste Spieltag und damit das rettende Ufer kommt bestimmt…

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