Die Trauerkultur des Fußballs

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von Axel Diehlmann

Die englische Nationalmannschaft wird heute Abend im Vorfeld des Länderspiels gegen die französische Nationalmannschaft in die Marseilleise einstimmen. Im Rahmen des Länderspiels Deutschland gegen die Niederlande sollen ebenso Inszenierungen der Trauer eine wichtige Rolle einnehmen. Manifestierte Praxis dieser Trauerbekundung bei Sportveranstaltungen ist die Schweigeminute und der Trauerflor. Aber auch das Verhalten der Spieler auf dem Platz und der Zuschauer auf den Tribünen wird entsprechend gestaltet. Die Trauerkultur prägt den Sport und der weiterziehende Tross versucht einen angemessenen Umgang zu finden.

Der Präsident der Europäischen Kommission Martin Schulz betonte am Sonntag im Rahmen der Diskussionsrunde bei Günther Jauch, der Terror gehöre zu den Lebensrisiken der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Eine pragmatische und tiefgreifende Erkenntnis, die einen Aspekt des Schocks darstellt, dem sich viele ausgesetzt fühlen. Gleichzeitig rückt auch der Alltag wieder in unser Bewusstsein und damit der Versuch, nicht einfach so weiterzumachen und dabei sich dennoch seiner Depressivität nicht zu hinzugeben. An dieser Stelle fungieren Trauerrituale als stabilisierende Momente der Verarbeitung und Zeichensetzung. Auch der Fußball hat seine Symbole und Rituale. In regelmäßigen Abständen wird in Fußballstadien verstorbenen Persönlichkeiten gedacht, sei es in Form einer Schweigeminute, eines Trauerflors oder durch Banner auf den Tribünen. Das Stadion als Ort der Öffentlichkeit und der medialen Repräsentation verkörpert eine neue Art der Trauerkultur. Die Farbe schwarz ist dabei der Code gemeinsamer Bekenntnis.

Trauerkleider und Trauerflor veröffentlichen den Todesfall in einer Gemeinschaft. Im 19. Jahrhundert wurde die Trauerbekleidung über ein Jahr rituell getragen. Die Witwen verstorbener Männer trugen ihr Trauergewand ein halbes Jahr in schwarz und ein weiteres halbes Jahr in grau beziehungsweise in gedeckten Farben. Entsprechende Fachgeschäfte für Trauerkleidung waren eine verbreitete Erscheinung. Die Männer trugen ohnehin eher gedeckte Farben oder schwarz und demonstrierten ihre Trauer daher über eine schwarze Armbinde.

Trauer ist ein kulturell erlernter Prozess, beeinflusst von gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen. Heutzutage hat sich die Trauerkultur individualisiert hinsichtlich der Kleidung, Form und zeitlichen Ausprägung. Auf der einen Seite führt die Individualisierung zur Entfernung von traditionellen Trauerriten und auf der anderen Seite entstehen neue Formen des kollektiven Trauerns. Genau hierin liegt ein entscheidender Aspekt der gegenwärtigen Trauerkultur: die kollektive Trauer fungiert als Ventil und darüber hinaus als gesellschaftliches Bindeglied.

Insbesondere in den letzten Jahrzehnten lässt sich das Phänomen der kollektiven Massentrauer beobachten. Als Reaktion auf Anschläge, Amokläufe oder Naturkatastrophen, durch die Gruppen emotionaler Nähe betroffen sind, kommt es zum Massentrauern. Dabei trauern die Leute um Zeitgenossen, die sie persönlich gar nicht gekannt haben, wie Princess Diana, den Torhüter Robert Enke oder eben die Opfer gewalttätiger Übergriffe, deren Anonymität durch den empathischen Bezug zu den Orten des Unglücks in ein Moment der Nähe transformiert wird. Jene Trauer findet gleichsam über die Medien global statt. Die Ikonen der Zivilgesellschaft als auch die Vertreter eines gemeinsamen Lebensstils werden kollektiv aus dem Leben verabschiedet. Hilfsmittel dafür sind die neuen Medien. Man verabredet sich über Twitter oder Facebook und organisiert Solidaritätsbekundungen als Symbol der gemeinschaftlichen Geschlossenheit.

Der Sport als gesellschaftliches Phänomen und vor allem als Bühne der sozialen Befindlichkeit steht dabei in einem Spannungsverhältnis zwischen Banalität und Repräsentationskultur. Der Sport generell wird in Zeiten des wahrgenommenen Schreckens in der Welt einerseits als Alltag definiert, in den es zurückzukehren gilt. Andererseits produziert er Emotionen, die angesichts des Terrors als unangemessen empfunden werden. Die Gedenkminuten und der Trauerflor, die in das Fußballspiel integriert werden, sind Versuche aus diesem moralischen Dilemma herauszutreten und eher die sozial-integrative Kraft des Sports zu betonen.

Am 11. September 2001 erfolgten die Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington D.C., die die Welt in einen Schockzustand versetzten. Neben den globalen Zeichen der Solidarisierung kehrte auch der profane Alltag zurück ins gesellschaftliche Leben.  Am ersten Bundesliga-Spieltag nach der Erschütterung der westlichen Welt bejubelte der damalige Stürmer des FC Bayern, Giovanne Elber, sein Tor mit einer Friedensgeste in Richtung Publikum: er legte die beiden Daumen der gehobenen Hände aneinander und wedelte sanft mit den Handflächen. Die Friedenstaube als Torjubel – der Fußball als Symbol der Überwindung von Konflikten. Die gesellschaftliche Rolle des Fußballs liegt nicht zuletzt in der Repräsentationskraft hinsichtlich der Vermittlung kultureller Werte. Diese Rolle wird er wohl auch bei der heutigen Sportveranstaltung in Hannover übernehmen. Es ist der einzige Ausweg aus seiner Banalität.

 

 

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