Es war kein Elfer! Oder doch? Warum diskutiert denn niemand?

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Die deutsche Mannschaft scheiterte im Halbfinale knapp und unglücklich an Frankreich, umstrittene Schiedsrichterentscheidungen inklusive. Merkwürdigerweise spricht in den Medien niemand darüber. Wieso eigentlich?

von Björn Leffler

Gleich zu Beginn halte ich fest: Ja, ich bin ein inniger Anhänger der deutschen Nationalmannschaft, von Kindesbeinen an. Ich befinde mich derzeit also in tiefer Agonie ob des Scheiterns im Halbfinale gegen die Équipe Tricolore, das so bitter wie unnötig war. Trotz aller Subjektivität versuche ich aber, mit objektiver Sichtweise auf das Thema zu schauen.
Ich halte hier daher im gleichen Atemzug fest: Das Ausscheiden lässt sich nicht einzig und allein an der zweifelhaften Elfmeterentscheidung festmachen, die Mannschaft vergab in der ersten und zweiten Hälfte reihenweise gute Möglichkeiten.

Dennoch war der Elfmeterpfiff von Referee Rizzoli in Minute 47 das wohl spielentscheidende Ereignis in diesem Halbfinale. Der erst völlig überraschende Pfiff des Schiedsrichters, obwohl weder Publikum noch Spieler auf französischer Seite reklamiert hatten, begründete sich erst nach mehrmaliger Ansicht der Zeitlupe: Handelfmeter. Schon wieder.

Antoine Griezmann nutzte diese Möglichkeit eiskalt aus, und fortan liefen die bis dahin dominanten Deutschen, die der Führung deutlich näher waren, plötzlich einem Rückstand hinterher. Auf dem Weg in die Kabine waren mehrere deutsche Spieler dermaßen aufgebracht, dass Bundestrainer Löw sie davon abhalten musste, das Schiedsrichtergespann anzugehen.

Das Halbfinale endete durch einen tölpelhaften Abwehrfehler letztlich 0:2, und auf deutscher Seite fügte man sich dann zähneknirschend in die Rolle des Verlierers, obwohl man das ganze Spiel über das eindeutig aktivere und spielerisch bessere Team gestellt hatte. Weder vom Bundestrainer, der im Nachhinein mit versteinerter Miene von einer „unglücklichen Entscheidung“ sprach, noch von den Spielern waren danach kritische Äußerungen zur richtungsweisenden Elfmeterentscheidung zu hören.

 

Da darf durchaus einmal die Frage erlaubt sein, ob wir es hier mit einem Maulkorb für Spieler und Medien zu tun haben, was die Leistungen der Schiedsrichter angeht. Schon in der Halbzeitpause befand das Experten-Duo Oliver Kahn und Oli Welke, dass es sich um einen „klaren Elfmeter“ gehandelt habe. Auch in den Print- und Online-Medien war tags darauf nur darüber zu lesen, dass Schweinsteiger zum großen Verlierer des Abends geworden war.

Ich betrachtete die strittige Szene noch einmal in Ruhe und erinnerte mich an zahlreiche ähnliche Situationen der letzten Jahre, in der Bundesliga. Da war es nicht selten der Fall, dass ein Spieler aus kürzester Distanz angeschossen wurde, während er selbst in einer Lauf- oder Grätschbewegung war. Häufig, sehr häufig, wurde hier auf Weiterspielen entschieden, da keine klare Absicht zu erkennen war, den Ball mit der Hand zu spielen. Ich erinnere mich an diverse Kommentare von „Sky“-, „Sportschau“- oder „Sportstudio“-Kommentatoren, die dann dem Schiedsrichter gern beipflichteten: „Absolut richtig entschieden!“

Wir schauen nochmal auf die Szene im Halbfinale. Schweinsteiger und Evra steigen zum Kopfballduell hoch, es gibt ein intensives körperliches Duell. In der Sprungbewegung befinden sich Schweinsteigers Arme, wie auch die seines Gegenspielers, nicht am Körper, sondern ragen nach vorn. Evra bekommt den Ball auf die Stirn und köpft den Ball aus rund fünf Zentimetern Entfernung an Schweinsteigers Arm. Rizzoli unterstellt Schweinsteiger eine klare Absicht und pfeift Elfmeter. Die hier geschilderte Szenerie war gleichwohl nur in der Super-Slowmotion zu erkennen. Zeigt man die Szene noch einmal in Normalgeschwindigkeit, wird sehr deutlich, dass Schweinsteiger in der Kürzer der Millisekunde, um die es hier geht, nicht einmal die Chance gehabt hätte, eine bewusste Armbewegung zum Ball zu unternehmen. Es war ein normaler Zweikampf, bei dem ihm der Ball an den Arm sprang.

Was ich sagen will: Die Entscheidung, die Rizzoli in diesem Fall traf, war zumindest grenzwertig. Aber offenbar durften weder Reporter noch Kommentatoren nicht einmal diese Interpretation an die TV-Zuschauer weiterreichen. Rizzoli pfiff bereits davor und auch in der Folge auffällig wohlwollend für die Heimmannschaft, was auf Seiten der deutschen Anhänger großen Unmut auslöste. Es drängte sich der Eindruck auf, dass hier der Gastgeber ins Finale gepfiffen werden sollte. Dass Frankreich diesen Titel derzeit eben brauche. Ausgerechnet ein Italiener war dann noch dafür zuständig, das Halbfinale zu pfeifen. Eine Entscheidung der UEFA, die einen schon den Kopf schütteln lässt, macht sie sich doch damit unnötigerweise angreifbar.

Aber beschränken wir uns nicht auf das Halbfinale der Deutschen. Auch im Endspiel der Franzosen gegen Portugal konnten die Blauen erst einmal ungehindert auf das portugiesische Team losgehen, insbesondere auf ihren Anführer, Kapitän Cristiano Ronaldo. Der wurde gleich zu Beginn zweimal hart angegangen, ohne dass es von Seiten des Schiedsrichters ein Einschreiten gegeben hätte. Die zweite Attacke, von Payet mit voller Wucht ausgeführt und nicht geahndet, führte dann zum vorzeitigen Aus von Ronaldo in diesem Endspiel.

 

Es ist nicht meine Absicht, hier irgendwelche Verschwörungstheorien über durchgepfiffene Gastgebernationen aufzustellen. Was mich eigentlich umtreibt, ist die Tatsache, dass es medial überhaupt keinen Willen zu einer Diskussion gibt. Das kann entweder daran liegen, dass man der völlig absurden Meinung ist, dass Deutschland eine Niederlage eh verdient hat, wenn die Mannschaft den Gegner nicht von der ersten bis zur letzten Minute dominiert hat und über derlei Kleinigkeiten wie Elfmeterpfiffe gar nicht gequengelt werden darf. Oder es liegt daran, dass es einen breiten Konsens darüber gibt, die gezeigten Leistungen der Schiedsrichter nicht kritisieren zu dürfen.

Das scheint mir eher wahrscheinlich. Vermutlich haben sich Medien und Verband nach einer auch in der vergangenen Saison wieder hitzig geführten Debatte um den Umgang mit Schiedsrichtern einen Knigge auferlegt, der es ihnen untersagt, die Schiedsrichter und ihre Leistungen hart zu kritisieren.

Das ist ein löblicher Ansatz, denn viel zu oft wird über Schiedsrichter und ihre Leistung gewettert, als gäbe es keine anderen Faktoren im Spiel. Das Problem ist nur: Was ist, wenn die Leistung des Schiedsrichters wirklich nicht gut war? Darf man es dann nicht erwähnen? Sind war dann nicht genau in der Zensur-Falle, die die UEFA während des Turniers auch auf Bilder von randalierenden Fans und über das Feld laufende Flitzer gelegt hat? Ist es nicht genau das, was die UEFA zeigen will? Ein Turnier, frei von Fehlern, Fehlentscheidungen und Problemen? Vermutlich hätte man sogar die Motten im Endspiel gern aus dem TV-Bild hinausretuschiert, wenn es denn möglich gewesen wäre.

Und sollten wir das einfach so hinnehmen?

Schaut man sich in den sozialen Netzwerken um, kann man sehen, welch intensive Diskussion dort über die Entscheidungen im Halbfinale und im Endspiel geführt wurden. Und es ging natürlich hauptsächlich darum, ob der Schiedsrichter richtig oder falsch gelegen hat. Dabei treffen selbstredend die unterschiedlichsten Meinungen aufeinander. Aber der Bedarf, sich darüber auszutauschen, ist groß.

Diesen Bedarf sollten auch die „klassischen“ Medien erkennen, die sich so gern als Meinungs- und Diskurselement ihrer immer weniger werdenden Konsumenten sehen. Sie sollten diese Rolle wahrnehmen und kritische Stimmen zulassen, auch wenn es sich nur um eine Sportveranstaltung dreht. Auch wenn es der Schiedsrichtergilde oder der UEFA nicht gefällt. Besonders dann.

Dass ein solcher Diskurs ausbleibt, ist zumindest einmal sehr schade. Denn von der Diskussion lebt eine Gesellschaft nunmal, egal ob es um Elfmeterpfiffe, politische Entwicklungen oder umstrittene Bauprojekte geht.

 

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