Fußball findet Stadt – In den Straßen Havannas

Avatar von Björn Leffler

Der kubanische Fußball fristet ein Schattendasein im Kontext der globalisierten Fußballwelt. Die niedrige Qualität der heimischen Liga und die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der Nationalmannschaft rücken den Fußball ins Abseits der sportpolitischen Öffentlichkeit. In den Straßen Havannas wird dennoch intensiv gekickt und der Stimmungswandel eingeleitet.

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Der kubanische Fußball ist vergleichbar mit der Konstitution des Stadtraums von Havanna. Abgesehen von ausgewählten Restaurierungsarbeiten im Kontext der internationalen Aufmerksamkeit ist flächendeckend der allmähliche Verfall wahrzunehmen. Die staatliche Überforderung bezüglich der Erhaltung er städtebaulichen Strukturen und architektonischen Objekte rückt die bürgerschaftliche Eigeninitiative in den Fokus. Die Kubaner nehmen ihr Leben in die eigenen Hände, so dass sie wahre Organisations- und Managementtalente sind. Man spürt relativ schnell die Diskrepanz zwischen der Endzeitstimmung der Kulisse und der Mentalität des Aufbruchs innerhalb der kubanischen Gesellschaft. Die kubanische Gesellschaft sucht den Anschluss an die große weite Welt – gerne auch repräsentiert in fußballerischen Sehnsüchten.

Wenn man durch die Straßen Kubas schweift begegnen einem in hoher Frequenz die Insignien des europäischen Fußballs. Trikots und Wappen werden stolz auf der Brust oder der Karosserie präsentiert. Vor allem Real Madrid und der FC Barcelona haben es den Kubaner ordentlich angetan. Hinzu kommen dann zahlreiche (mitunter selbst gestaltete) Jerseys vom FC Chelsea, Manchester United, Juventus Turin und dem FC Bayern. Darüber hinaus gibt es nur wenige Exoten, die für die Kubaner noch ein wenig Glanz ausstrahlen und Interesse erzeugen. Im Gespräch mit einem kubanischen Professor der Universität von Santa Clara wurde ich zwar darauf verwiesen, dass inzwischen auch Borussia Dortmund und der FC Schalke 04 sich reger Beliebtheit in Kuba erfreuen dürfen, aber so richtig glauben konnte ich dies zumindest im zweiten Fall eher nicht. Der Beweis trat jedoch gleich am nächsten Abend in einem der zentralen nächtlichen Tanzlokale an, als ein kompakter Kubaner, der wie die muskulösere Variante von JayJay Okocha aussah, seine Liebe zum BVB durch seine abendliche Kleidungswahl bewies. Das königsblaue Dress der Gelsenkirchener blieb jedoch weiterhin in der Verborgenheit.

Der ausgewählte Kreis an Vereinen, die zumindest repräsentive Unterstützung erhalten, hängt mit der zentralen Quelle für die fußballerische Welt zusammen. „Los Champions“ – die Champions League ist auch in Kuba der Gipfel der Fußballkultur. Die europäischen Ligen spielen höchsten eine kleine Rolle für das allgemeine Fachsimpeln. Die Ergebnisse werden wahrgenommen, aber die Spiele nicht verfolgt. Selbst bezüglich der Champions League gestaltet sich dies schon sehr schwierig, da Live-Übertragungen der Spiele nicht möglich sind und anstatt dessen lediglich als Wiederholung einige Tage später über die Mattscheiben flimmern. Während dies in den letzten Jahren eher als unproblematisch wahrgenommen wurde, da ohnehin keine vorhergehende Information über den Spielausgang möglich war, hat sich dies inzwischen verändert, da die kubanische Bevölkerung sich nunmehr mit WiFi-Zugangskarten versorgt in öffentlichen Stadträumen versammelt, um im Internet zu surfen. Die Übertragungsrate ist zwar weiterhin gering, aber für Fußball-Ergebnisse reicht es dann doch noch. Die Fernsehübertragungen verlieren aufgrund der fehlenden Live-Rechte ihren Zauber. Das Internet sorgt für die nötige Aktualität.

Und so wurde ich auch in Kuba allmählich über die Ergebnisse des europäischen Fußballs informiert. Als ich vor zwei Jahren vor Ort war, lebte ich wie in einer Blase, die lediglich durch ein Hineinschmuggeln in ein teures Hotel temporär platzte, als ich mir den Zugang zu einer Übertragung eines Champions-League-Spiels für zahlungskräftige Touristen ermöglichte. Abgesehen davon hatte ich knapp drei Wochen nahezu keine Ahnung vom hiesigen Geschehen. Dies verstärkte die Überraschung, als mir zu Beginn der letzten Woche durch einen kubanischen Studenten von der 0:4-Pleite des FC Barcelona bei PSG berichtet wurde. Mein Hunger war jedenfalls geweckt und wurde durch die Berichterstattung von der 0:1-Niederlage des BVB bei Benfica nur trostlos befriedigt. Insbesondere verwunderte mich daran, dass auch in Kuba inzwischen angekommen ist, dass der BVB nicht unbedingt schlechter sein muss, um Spiele zu verlieren. „Como siempre“ (wie immer) seien die Dortmunder ineffektiv angerannt und die eigentlich überlegende Mannschaft gewesen. Den Borussen eilt ihr Ruf voraus. Mit einigem Amüsement vernahmen auch die Kubaner, dass Arsenal erneut in München baden gegangen ist. Und zu einem heiteren Lachen führte dann nur eine Woche später das Ergebnis zwischen Bayern und Hamburgo. „Como siempre“ halt…

Während Baseball, Boxen, Volleyball, Schach und Gewichtheben die kubanische Flagge international hochhalten, ist der Fußball jedoch nur ein Sehnsuchtsort der kubanischen Jugend. Die größten Stadien des Landes sind dem Baseball gewidmet und repräsentieren die starke Orientierung der kubanischen Sportkultur an dem großen zwielichtigen Bruder im Norden. Dies scheint jedoch zunehmend in einem Wandlungsprozess zu sein. Zwar wird in den Straßen gerne auch mal die Keule geschwungen, aber der Fußball eignet sich zusehends den öffentlichen Raum an. Mit gewohnter Kreativität werden städtische Brachflächen zu Spielfelder umgestaltet und teilweise wird dann auch gerne die Verkehrsstraße als Spielfläche markiert.

Der kubanische Fußball ist auf dem Sprung in die Entwicklung. Die Basis an enthusiastischen Jugendlichen ist gegeben, die Sportkultur und Kultur der Eigeninitiative der kubanischen Gesellschaft tut dann ihr übriges. Die Entwicklung ist eigentlich vorprogrammiert in diesem sportverrückten Land, in dem in inzwischen verfallenden Kolonialhäusern rudimentäre Fitnessstudios eingerichtet werden. Für die lateinamerikanische Fußballkultur herrscht in Kuba Goldgräber-Stimmung. Die politische Öffnung könnte dem Land nunmehr auch eine fußballerische Großveranstaltung einbringen, die als Impuls den heimischen Fußball auf ein neues Niveau hebt. Dann könnte auch irgendwann die kubanische Nationalmannschaft zum ersten Mal seit 1938 wieder an einer Endrunde des größten globalen Sports teilnehmen. Die Potentiale sind vorhanden, die Strukturen liegen jedoch bezüglich des Fußballs darnieder. Auch die WM-Endrunde in Russland wurde bereits im Juni 2015 durch das Ausscheiden gegen Curacao verpasst. Kaum auszudenken, wenn die Kubaner sich für Qatar qualifizieren sollten und die dortige Kultur des Überflusses präsentiert bekommen würden. Vielleicht könnten die Kubaner dann aber auch sogleich ihre sozialistische Revolution in die Welt exportieren. Ganz im Sinne der großen Ikone Ernesto „Che“ Guevara.

 

Axel Diehlmann
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