Fußballdokumentationen, die die Welt noch braucht – Teil 2

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Zweiter Teil unserer Reihe „Fußballdokumentationen, die die Welt noch braucht„.

Thema dieser kurzen Serie sind Dokumentationen, die es bislang noch nicht gegeben hat, von denen wir uns aber einen hohen Unterhaltungs- und Informationsgewinn versprechen.

Während wir uns gestern drei umstrittenen Persönlichkeiten des Weltfußballs gewidmet haben (Uli Hoeneß, Christoph Daum und Star-Flitzer Nicky Naked) schauen wir heute auf ein Duell, das weltweit polarisierte, den verblassenden Ruhm von Kult-Trainer Peter Neururer und Gewalteskalationen bei Paaren, die Fans unterschiedlicher Vereine sind.

Zeiten des Aufruhrs
Geschichte einer Feindschaft: Zinedine Zidane und Marco Materazzi

Diese Dokumentation des unbequemen Enthüllungsjournalisten Michael Moore beschäftigt sich intensiv mit den Geschehnissen in der Verlängerung des Fußball-WM-Finals 2006. In der 110. Minute hatte seinerzeit Zinedine Zidane seinen Gegenspieler Marco Materazzi nach einer verbalen Provokation („Deine Schwester ist eine Nutte!“) mit einem Kopfstoß in die Brustmitte auf den Rasen des Berliner Olympiastadions befördert. Zidane hatte dafür die rote Karte gesehen, seine Équipe Tricolore verlor das Endspiel letztlich im Elfmeterschießen. Für Zidane war es das letzte Spiel als Fußballer überhaupt.

Moore begleitete die beiden Fußballer im Anschluss an diese Szene, die in Windeseile Legendenstatus erlangte. Er zeigt Marco Materazzi, wie er in monatelangen Rehabilitationsmaßnahmen versucht, wieder auf die Beine zu kommen und die schwere Brustbeinprellung auszukurieren. Wir sehen, wie der Verteidiger nicht nur körperlich, sondern auch seelisch intensiv betreut wird und mehr als einmal kurz davor ist, seine Karriere zu beenden.

Auf der anderen Seite sehen wir Zinedine Zidane, den uneinsichtigen, sturen und vor allem größtenteils stummen Aggressor, der mit seiner folgenschweren Aktion eine ganze Nation gegen sich aufbrachte. Nach Monaten der Verdrängung und Verweigerung beginnt der Franzose zaghaft, sich den Ereignissen von Berlin zu stellen und begibt sich in stationäre Behandlung. Wir sehen, wie der einst stolze Spielführer in Anti-Aggressionstrainings und Entspannungsseminaren eine Persönlichkeitswandlung durchmacht, die ihn letztlich seine Tat bereuen lassen. Selbst eine Ausbildung zum Mediator beginnt Zidane dann schließlich, gegen Ende des Films.

Moore gelingt es sogar, die einstigen Streithähne wieder an einen Tisch zu bekommen, auf ein Versöhnungs-Eis in einem abgelegenen Mailänder Eiscafé, gänzlich ohne Presserummel. Es ist der krönende Abschluss der Dokumentation. Wenn sich Marco Materazzi und Zinedine Zidane, die einstigen Todfeinde, gegenseitig mit Schokoladen- und Himbeereis füttern, wird selbst der gefühlsloseste Klotz windelweich. Der Film ist ein weiteres Meisterwerk des amerikanischen Doku-Shootingstars, der sich in dieser Dokumentation erstmals dem europäischen Fußball widmet.

Sich treu geblieben
Eine Langzeitbetrachtung über Kult-Trainer Peter Neururer

Peter Neururer, der zu den erfolglosesten aber gleichzeitig beliebtesten Figuren der Trainerzunft zählt, wird in diesem Langzeitportrait von Ralf Sternensack und Peter Lohmüller von allen Seiten beleuchtet. Die zwei Pioniere der Langzeitdokumentation zeigen den damals noch jungen Neururer während seiner ersten Stationen als Trainer von TuS Haltern, Westfalia Herne und Rot Weiß Essen. Amüsanterweise sah Peter Neururer schon damals genauso aus wie heute. Nur eben mit etwas mehr Haupthaar. Daher wohl auch der treffende Titel des Films, „Sich treu geblieben“.

Das lässt sich ohne Weiteres auch über die Karriere des mittlerweile 60-Jährigen behaupten, die stetig mäanderte zwischen Auf- und Abschwung, Feuerwehreinsätzen im Abstiegskampf und langen Phasen des Golfspielens. Wir lernen den privaten Peter Neururer kennen, der beim Rasenmähen noch immer die Ballonseide-Trainingsanzüge der späten 80er Jahre aufträgt und verbittert darüber fabuliert, dass er manchmal einfach nur mehr Zeit gebraucht hätte, um wenigstens ein einziges Mal mehr als maximal zwei Jahre bei einem Verein Cheftrainer zu bleiben. Gleichzeitig lässt er aber auch nochmal launig einige Highlights seiner bewegten Laufbahn Revue passieren, wie etwa den Moonwalk vor dem Bochumer Fanblock nach dem Erreichen des UEFA-Cups. Oder das Färben seiner Kopfhaare nach geglücktem Klassenerhalt. Oder, natürlich, die regelmäßigen Auftritte als TV-Co-Kommentator von Frank „Buschi“ Buschmann beim Montagsspiel der 2. Liga. Noch heute gilt diese kongeniale Verbindung von Fachkompetenz (Neururer) und wildem Fanatismus (Buschmann) als legendär.

Am Ende dieser bewegten und bewegenden 93 Minuten sehen wir Peter Neururer auf einem Golfplatz in Witten, Westfalen. Als er am 16. Loch mit dem sechsten Schlag einlocht, zischt die Siegerfaust nach vorn, ein breites Grinsen zeigt sich unter der leicht ergrauten Rotzbremse, und wir sehen noch einmal dieses Glühen in seinen Augen. Ein Glühen, das er als junger, unverbrauchter Trainer noch hatte, und das mittlerweile fast völlig verloren gegangen ist, wie auch seine Spielerdatenbank.

Nur der buschige Schnurrbart, der ist natürlich geblieben.

Er ist sich eben treu geblieben, voll und ganz. Eine absolute Filmempfehlung, ganz großes Kino!

 

Auf die Schnauze – Wenn Papa Herthaner und Mama Unionerin ist
Über Gewaltverbrechen in Mischbeziehungen

Dieses schockierende Dokument der Zeitgeschichte beschäftigt sich mit häuslicher Gewalt in sogenannten „Mischbeziehungen“. Schockierende Bilder zeigen Ehepaare und Partner, die jegliche Zurückhaltung ablegen, wenn ihre jeweiligen Lieblingsmannschaften im direkten Duell aufeinandertreffen. Da werden hemmungslos Backpfeifen und Kopfnüsse verteilt, während die verstörten Kinder danebensitzen. Und das mitunter nur wegen eines falsch ausgeführten Einwurfs oder einer zweifelhaften Abseitsentscheidung.

Dokumentarfilmer Paul Schwätz hat seine 120-minütige Sozialstudie an zwei Standorten in Deutschland gedreht. In Dortmund-Wickede heftete er sich für sechs Monate an die Fersen von Günter „Günni“ Wolter und dessen Frau Gabi. Das Paar, das mit drei Kindern in feindlicher Eintracht in einer stickigen Hinterhof-Zweiraumwohnung lebt, rutscht vor allem während des Derbys Dortmund gegen Schalke in tiefe Beziehungskrisen.

Die Zuschauer werden Zeuge, wie Gabi, ihres Zeichens S04-Anhängerin, nach einer Derby-Niederlage Günnis Schrank mitsamt all seinen Dortmund-Trikots und Fanschals in Brand steckt und dieser sich dadurch revanchiert, Gabi minutenlang mit Waterboarding zu foltern. Es sind nur schwer erträgliche Bilder, und erst das beherzte Eingreifen von Polizei und Feuerwehr kann die Situation letztlich wieder beruhigen.

Nicht ganz so dramatische Szenen spielen sich bei Michael Kalkowski und Renate Krause in Berlin-Mariendorf ab. Kalkowski, seines Zeichens langjähriger Hertha-Fan, macht keine Gefangenen, wenn es darum geht, die Liebe zu seiner „Alten Dame“ zu verteidigen. Seine Freundin Renate hingegen, geborene Köpenickerin, hält selbstredend dem 1. FC Union die Treue. Neben der ein oder anderen Ohrfeige, die Filmer Paul Schwätz hier einfangen konnte, sehen wir in diesem Fall vor allem nonverbale Gewalt.

Dass sich diese beiden Menschen außerhalb von Bundesliga-Spieltagen wirklich innig lieben sollen – wie sie mitunter recht glaubhaft vermitteln – ist nur schwer vorstellbar. Und obwohl die beiden fast ohne Gewalt auskommen, kommt es doch immer wieder mal vor, dass sie sich während des Abendbrots mit stumpfen Gabeln und Streichmessern traktieren. In einigen Fällen fließt sogar Blut. Michael Kalkowski stellt denn auch sehr nachvollziehbar fest: „Wir sind eigentlich nur noch zusammen, weil Hertha und Union nich in eene Liga spieln.“

Das glaubt man ihm aufs Wort. Paul Schwätz zeigt uns in diesem Film, dass Gewalt beim Fußball nicht immer nur von Hooligans ausgehen muss. Manchmal sind es auch Paare, die sich eigentlich innig lieben. Eigentlich.

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