Oh, wie schön ist Panama…

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Es war der große Skandal der Panama-Papers, der die Weltöffentlichkeit gestern aufgerührt hat. Es geht dabei um die journalistische Enthüllung der Einrichtung von Briefkastenfirmen in Drittstaaten durch Prominenz aus Wirtschaft, Politik und Sport, um steuerliche Vorteile zu erzielen. Besser gesagt: um keine Steuern zu zahlen. Ein vermeintlicher Skandal der Steuerflucht, der aber so wenig überraschend ist wie ein Sieg von Bayern München gegen Hannover 96. Steuerflucht gibt es seit Steuern erhoben wurden – warum auch sonst sollte es die geflügelte Begrifflichkeit des „Steuern eintreibens“ geben. Diese wäre unnütz, wenn jeder und jede aufrichtig sein Teil am Gemeinwohl entrichten würde. Leider denken die meisten nur zweitrangig kollektiv. Nun wäre der Mensch nicht Mensch, wenn er nicht für jede Herausforderung eine ihm eigene Lösung finden würde, von der er selbst nachhaltig zu profitieren vermag. Innerhalb der Gesetzgebung eines Staates wie auch einer globalisierten Welt gibt es Sonderregelungen, die entsprechend den eigenen Interessen nur ausgenutzt werden müssen. Ein wirtschaftliches Schlupfloch für intelligente (halbwegs legale) Kriminalität, welches freudig durch die wirtschaftliche Kompetenz genutzt wird, damit der „böse“ fürs Gemeinwohl arbeitende Staat ja nicht zu viel vom „ehrlich erarbeiteten“ Verdienst abknapst.

Vor wenigen Jahren noch anschaulich am Beispiel von Uli Hoeness zu betrachten, stellt nun Lionel Messi die Verknüpfung zum Fußball her. Der kleine Argentinier mit dem Saubermann-Image steht stellvertretend für die sportliche Prominenz in dem Skandal der Panama-Papers. Ausgerechnet Messi, dem man kein Haar krümmen möchte, da er doch für das Gute, das Unaufgeregte steht: im Gegensatz zum Kontrahenten Cristiano Ronaldo. Ausgerechnet Lionel Messi hat wider Erwarten keine Lust auf steuerliche Einschränkungen zugunsten notwendiger gesellschaftlicher Förderung und infrastruktureller Entwicklung im Umfeld seines Nou Camp und darüber hinaus. Mit der Einrichtung von Briefkastenfirmen konnten große Teile der Einnahmen an der Steuer vorbei außer Landes gebracht werden. Und Messi ist natürlich kein Einzelfall im Bereich des Fußballs. Weiterhin tauchen auf der Liste der listigen Unternehmer Namen wie Gabriel Heinze, Dario Kovacevic und Tayfun Korkut auf. Die beiden letzteren beispielsweise verdienten in ihrer Zeit bei Real Sociedad San Sebastian Anfang der 2000er Jahre offiziell gerade einmal knapp 1800 EUR netto, während das anzunehmend weit höhere Gehalt ihnen über die externen Briefkastenfirmen zuteil wurde.

Doch wäre diesem Affront gegenüber der Gemeinschaftlichkeit nicht genug, erschüttert auch noch ein Kaugummi-Wurf und der vermeintliche Verlust des Fairplays die deutsche Öffentlichkeit. Hierbei geht es jedoch nicht um die große Weltpolitik oder die zweifelhaften Finanzströme der Besserverdiener, sondern um das profane und dabei zur Heiligkeit glorifizierte Fußballgeschäft. Eine grundlegende These der Quantenmechanik lässt sich ohne weiteres auf gesellschaftliche Strukturen übertragen: Alles hängt mit allem zusammen. Im Kleinen erkennt man die Prinzipien des Großen und umgekehrt. Auch wenn es ein Zufall sein mag, dass die Fairplay-Diskussion mit der Diskussion des Panama-Skandals zeitlich zusammenfällt, so besteht dennoch eine gemeinsame Grundlage, die kollektiv infrage gestellt wird: die Profitgier des Einzelnen.

Die Regelung des Fairplay im Sport weist Richtlinien auf, die unmittelbar jeder als Selbstverständlichkeit bewerten würde. Ebenso verhält es sich bei Leistungen des Staates, um ein wirtschaftliches, politisches und soziales Rechtssystem aufrechtzuerhalten. Die Integration von Interessen des Einzelnen in die kollektive Programmatik stellt die Grundlage gesellschaftlichen Fortschritts dar. Dumm nur, dass ab einem gewissen Punkt wirtschaftlicher Selbständigkeit des Einzelnen das Gemeinwohl plötzlich eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint. Das Kollektiv ist ab diesem Punkt nicht mehr wichtig für den persönlichen Status. Unverkennbar eine Fehleinschätzung.

Übertragen wir diese gedankliche Struktur auf den Fußball, so erscheint auf einmal der Schiedsrichter mit seinem Regelwerk als Re-Inkarnation des Staates. Dieser ist nützlich, so lange er die Macht der Konkurrenz einschränkt und ein gewisses Maß an Gleichberechtigung herstellt. Zu dieser subjektiven Sichtweise gehört unweigerlich auch, sich ungerecht behandelt zu fühlen, wenn man selbst einer argwöhnischen Betrachtung und Regulierung unterzogen wird. Ein wenig wie auf dem Schulhof. Da Regeln aber durch Menschen gemacht und durchgesetzt werden, unterliegen sie immer einem beeinflussbaren Entscheidungsprozess. An dieser Stelle setzt der Mechanismus der Vortäuschung ein, um sich im Zweifelsfall einen Vorteil zu verschaffen. Letztendlich geht es um die methodische Beeinflussung des Schiedsrichters, des Publikums und des Gegners. Angefangen bei den Schwalbenkönigen des Platzes über die unnachvollziehbaren Reklamierer bis hin zu den befindlichen Wahrnehmungen der versammelten Gemeinde am Spielfeldrand und auf den Tribünen. Respekt ja, aber nur entsprechend den eigenen Bedürfnissen.

Es ist die Korrumpierbarkeit des Geschäfts, die Sehnsucht nach dem eventuell spielentscheidenden Vorteil, welcher die Entscheidungen der Spieler auf dem Platz beeinflusst und den Fairplay-Gedanken höchsten zu einem moralischen Richtwert verkommen lässt, der wenn überhaupt nur zu den eigenen Gunsten Anwendung findet. Die Schlussfolgerung dieser These ist dann leidlich: Fairplay kann es so lange nicht geben, so lange es nicht über den sportlichen Erfolg gestellt wird. Die Wurzel des Problems ist die mangelhafte Glaubwürdigkeit der fußballerischen Zunft, die jedoch hausgemacht ist. Auch wenn der Verlust an Glaubwürdigkeit kein isoliert deutsches Problem ist, genügt schon ein Blick auf die Spielfelder der Nation, um die Crux der Geschichte zu erkennen – sportlich und gesellschaftlich.

Die Panama-Papers sprechen eine deutliche Sprache. Es geht um die Abwehr von Verteilungsgerechtigkeit aufgrund von Eitelkeiten, Egoismus und dem Fetisch wirtschaftlicher Konkurrenz. Moralisch wird nur in der Hinsicht agiert, dass die Vorteile hinterrücks ergaunert werden. Der Konflikt wird gescheut. Ein Konzert der Geheimniskrämerei, welches das Bewusstsein des Unrechts offenbart. Ähnlich verhält es sich mit dem Fair-Play-Gedanken auf dem Platz, der doppelgründig Anwendung findet. Jeder weiß wie Fairplay geht und versteht dementsprechend auch den sozialen Mechanismus, der als Hebel für die eigenen Interessen lediglich genutzt werden muss. Ein Labyrinth gesellschaftlicher Albernheiten wird infolgedessen auf den Sportplätzen aufgeführt, nur um den Wunsch nach Beeinflussung der Schiedsrichter nicht erkennen zu geben. Eins geht immer: der sterbende Schwan. Problematisch ist nur: Die stete Täuschung verklärt den Blick auf die Authentizität.

Da lob ich mir den Kaugummi-Wurf von Jörg Schmadtke. Ein direkter Affront, für den er sich im Anschluss auch direkt zu entschuldigen wusste. Alle anderen Schauspielereien zum Nachteil der sportlichen Konkurrenz wollen ja in den meisten Fällen im Anschluss keine gewesen sein. Die Schwalbenkönige werden weiter fliegen und Schmerzen imitieren. Und dabei fühlen sie nichts, kein Schmerz, kein Bewusstsein, kein Sinn. Lediglich wir, die sich diese Aktionen auch noch in Zeitlupe vermehrt anschauen müssen, sitzen auf Basis des Fremdschämens mit schmerzverzerrten Gesicht auf den Tribünen und vor den Bildschirmen. Sei es im Bereich sportlicher oder halt eben auch wirtschaftlicher Manipulation.

Oh, wie schön ist Panama…

Axel Diehlmann
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