Programmiertes Fremdschämen

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Inzwischen ist das DFB-Pokalfinale zwischen den Bayern und dem BVB knapp zwei Wochen her und aufgrund der leidenschaftsarmen Inszenierung des Pokaltriumphs seitens der Bayern hatten die Medien in den letzten Tagen genug Zeit, um die neue Tristesse im Umfeld des Westfalenstadions zu beschreiben. Neben dem Auseinanderbrechen der Mannschaft der Klopp-Ära und der entsprechenden Suche nach neuen Perspektiven bei Borussia Dortmund sorgte insbesondere eine Ultra-Gruppierung aus dem Dortmunder Fanlager für negative Schlagzeilen. Diese lieferten innerhalb einer Zugfahrt mal wieder genug Beweise, warum man sich teilweise dafür schämen muss Fußballfan zu sein – und es trotzdem nicht zulassen darf.

Man trägt das selbe Trikot, unterstützt das selbe Team, widmet einen Großteil seiner Zeit der selben Leidenschaft und ist sich dennoch so fern, wie nur vorstellbar. Wenn ich mich teilweise auf den Tribünen umschaue, wird mir leidlich bewusst, dass ich unter normalen Umständen die Nähe zu einigen Gestalten in meinem Umfeld meiden würde. Letztendlich ist es vollkommen in Ordnung, jeder soll so sein wie er möchte. Problematisch ist halt, wenn es so fundamental den eigenen Vorstellungen und Umgangsweisen widerspricht, weil die gegröhlten Meinungen vorzugsweise menschenverachtend und selbstgefällig sind. Für mich waren die Berichterstattungen über Fußballfans, die einen Sonderzug auseinandernehmen und in jede erdenkliche Ecke jenseits der Toilette urinieren, keine Überraschung. Allwöchentlich gibt es die Horde der Enthemmten, denen alles egal ist, weil sie ihre Kleingeister in den testosteron-getränkten Reisegruppen demonstrativ vor sich hertragen müssen. Die Gruppendynamik der niedrig-schwelligen Gedankenwelt erzeugt dabei die Spirale der Provokation, welche vor nichts halt macht – weder vor Mensch noch vor Material.

Das Video zeigt die Ankunft der „Fans“ von Borussia Dortmund in Berlin im Vorfeld des Pokalfinals. Es ist jener Sonderzug, der auf der Rückfahrt tendenziell auseinandergenommen wurde und zur Enklave eines rechtsnationalen Mobs wurde. Der Aufschrei in der Medienwelt war kurzfristig groß – insbesondere aufgrund der judenfeindlichen und homophoben Gesangseinlagen der Dortmunder Ultra-Gruppierung 0231-Riot. Eigentlich ist es eine Schande, eine solche Ansammlung Kleinkrimineller überhaupt mit der Ultra-Bewegung in Zusammenhang bringen zu müssen, aber da sich diese Idioten als eben solche ansehen, machen sie gleichsam auch das Ansehen der Fußball-Ultras kaputt. Regelmäßig wird durch die Kommentatoren während der Fußballübertragungen auf das Abbrennen von Pyrotechnik ablehnend und pseudomoralisierend reagiert. Dabei ist das Abbrennen von Feuerwerkskörpern im Vergleich zu den auf Abgrenzung und Gewalt basierenden Werte dieser grenzdebilen Penner nur eine Lapalie. Nichtsdestotrotz wird es gerne als symbolischer Zankapfel der zivilisierten Medienwelt gegen die irrationale Fangemeinde angeführt. Eine wirkliche Diskussion findet gleichsam nicht statt – lediglich Unverständnis und Dämonisierung. Die Konzentration auf diese Debatte verdeckt jedoch die wirklichen Probleme im Umfeld der Fußballkultur. Leider ist dies jedoch kein Versäumnis, sondern Methode, denn an die intensiven Problem-Fans traut man sich dann doch lieber nicht. Lieber vertraut man auf die Selbstreinigungskräfte der Fan-Szene. Hierbei haben wir es jedoch mit einem ähnlichen Irrglauben zu tun, wie jenem, dass die AfD sich auf der politischen Bühne selbst zerlegen würde. In ihrer Dummheit erhalten sie offenbar noch viel mehr Strahlkraft und erheben die debile Provokation zur politischen Methode.

Ja, ich werfe Teile der AfD und ihrer Unterstützer in einen Topf mit den Gewalttätern und Kriminellen im Umfeld des Fußballs. Ich tue das, weil sie der selben Gedankenwelt entstammen. Jener, die aus der Wut gegen die eigene Verunsicherung entsteht, welche durch die unerträgliche Komplexität der globalen Prozesse, letztendlich nur den einfachen Weg der Ressentiments zulässt. Produziert und vor sich hergetragen wird dadurch eine Feindlichkeit gegen alles, was nur den Hauch von Irritation erzeugt. Den ersehnten Halt finden dann diese Unentwegten in der kollektiven Inszenierung des kleinsten gemeinsamen Nenners und da diese Menschen einfach zu dumm sind, sich eigene Vorstellungen zu konstruieren, funktioniert deren Bindeglied über die aggressive Abgrenzung. Hierin steckt weder Vision noch Leidenschaft, sondern lediglich Verlustangst und Verunsicherung.

Nun ist es natürlich nicht damit getan, diese Erbärmlichkeit zu brandmarken und auf die nicht ausschließbare Ansammlung von zwielichtigen Personen im Umfeld des Fußballs zu verweisen. Die Problematik besteht jedoch darin, dass diese „Fankreise“ überhaupt nichts mit Fußball am Hut haben. Der Sport ist ihnen egal, es geht lediglich um die Bühne zur demonstrativen Präsentation der eigenen faschistischen Weltsicht und dem Gefühl der Gemeinschaftlichkeit. Die grandiose multikulturelle Sportart Fußball wird in ihrem Aspekt der Massenwirksamkeit ausgenutzt und verraten. Nichts haben diese Idioten mit dem Geist des Sports zu tun, denn für sie geht es nur um das Gefühl des Triumphs über die Anderen, nicht um den Wettbewerb und Austausch mit Gleichgesinnten.

Trotz meiner Berliner Herkunft bin ich leidenschaftlicher Fan von Borussia Dortmund und verbringe einen Großteil meiner Zeit damit, alle möglichen Informationen zum BVB mir anzueignen. Für mich war es vor vielen Jahren ekelerregend festzustellen, dass Dortmund eine Nazi-Hochburg ist und einhergehend die dortige rechte Kameradschaft versucht die Fußball-Fanszene zu infiltrieren. Distanzieren wollte und will ich mich dennoch nicht von meinem Lieblingsverein, da dieser meiner Meinung nach für diametral andere Werte steht, die nicht mit der widerwärtigen Ideologie der rechten Dumpfbacken in Einklang gebracht werden kann. Letztendlich finden sich leider auch nur wenige Vereine in Deutschland, die keine Probleme mit der rechten Fanszene haben. Es ist ein übergeordnetes politisches und kulturelles Problem, mit dem wir alle gemeinsam schwer zu tun haben.

Insbesondere im Vorfeld der bevorstehenden Europameisterschaft in Frankreich wird mir dadurch wieder angst und bange. Dann werden diese asozialen Idioten wieder durch einen breiten Konsens der nationalen Inszenierung in ihrer reaktionären Weltsicht bestärkt. Dann ist es wieder schick seine Individualität zugunsten nationaler Symbolik aufzugeben und sich dem heiteren Wettkampf gegn die stereotypisierten Anderen zu widmen. Dann werden wieder „unsere Jungs“ abgefeiert. Der AfD-Vize Gauland brachte mit seinem Boateng-Spruch die Doppelmoral großer Teile der deutschen Bevölkerung auf den Punkt. Es war wohl die einzige Aussage Gaulands, die nachvollziehbar korrekt ist, als er davon sprach, dass die Leute „Menschen wie Boateng“ als Fußballspieler, aber nicht als Nachbar akzeptieren würden.

Mit der Toleranz ist es in diesem Land nur so weit gediegen, wie es den eigenen Ansprüchen, Zielen und Vorstellungen entspricht. Dementsprechend rückt das Land in der Krise auch nicht zusammen, sondern spaltet auseinander. Nun soll der Fußball wieder als sozialer Kitt herhalten. Mir fällt es jedoch schwer, mich für die deutsche Nationalmannschaft zu freuen, wenn ich weiß, dass dies ebenso rechtsnationale Gewalttäter tun. Die beiden Seiten der Medaille zu trennen, wird von Jahr zu Jahr zu einer schwierigeren Aufgabe. Im Kontext des Vereinsfußballs fällt es mir einfacher, weil dort der eher der Fußball im Vordergrund steht. Bei großen internationalen Turnieren nimmt diesen Platz die nationale Identität ein. Es werden wieder vier Wochen der inneren Zerrissenheit ob der Begeisterung für die Ausprägungen der Fußballkultur einerseits und des Schreckens des überbordenden Patriotismus andererseits. Und das alles vor dem Hintergrund globaler Krisen, die angesichts des Turniers in den medialen Hintergrund treten und entsprechend von vielen Menschen weiterhin nicht ernst genommen werden.

Axel Diehlmann

 

 

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