Turnier der gescheiterten Gastgeber

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Seit 1984, seitdem Michel Platini den Coupe Henri-Delaunay in den Pariser Nachthimmel hob, ist keinem Gastgeber bei einer Europameisterschaft der Titelgewinn mehr gelungen. Einige scheiterten knapp, andere völlig aussichtlos. Eine Retrospektive gescheiterter EURO-Gastgeber.

von Björn Leffler

Die Fußball-Europameisterschaft gilt nicht unbedingt als Turnier, bei dem die Gastgeber groß aufzutrumpfen wissen. Seit der erstmaligen Austragung des Turniers 1960 wurde der Wettbewerb 14 mal ausgetragen, nur dreimal (Spanien 1964, Italien 1968, Frankreich 1984) konnten die Gastgeber die Siegertrophäe erringen. Als dies in den 60er Jahren zweimal gelang, war das Turnier allerdings noch eine Art Blitz-Turnier. Nur die beiden Halbfinals und das Endspiel fanden in den jeweiligen Gastgeberländern statt.

1984 waren es immerhin bereits acht Teams, die an der Endrunde teilnehmen durften. Erst zur EURO 1996 wurde das Feld auf 16 Teams aufgestockt. Eine Zahl, die erst jetzt, zur EURO 2016, auf 24 Teams aufgestockt wurde. Vor 22 Jahren, als das Turnier ebenfalls von den Franzosen ausgerichtet wurde, gelang der Équipe Tricolore, angeführt von ihrem virtuosen Spielmacher Michel Platini, nach spektakulären Siegen über Portugal im Halbfinale (3:2 nach Verlängerung) und Spanien im Endspiel (2:0) der vielumjubelte Turniersieg im eigenen Land.

Seitdem jedoch jagten die nachfolgenden Gastgebernationen erfolglos dem Traum vom Titelgewinn des Coupe Henri-Delaunay nach. Unsere Rückschau auf die letzten acht Europameisterschaften ist eine Retrospektive des Scheiterns.

Deutschland 1988

 

Die Elf von Teamchef Franz Beckenbauer ging als Vize-Weltmeister in das Turnier und zählte zu den Mitfavoriten auf den Titel. Das Team, welches zwei Jahres später in Rom den WM-Titel erringen würde, war bereits mit den Eckpfeilern der späteren Weltmeisterelf gespickt: Mathäus, Völler, Kohler, Klinsmann, Brehme. Noch aber fehlte die letzte spielerische Brillanz.

Das Team erreichte aber nach Vorrundensiegen gegen Spanien und Dänemark und einem Remis gegen Italien souverän das Halbfinale, scheiterte dort allerdings in einem legendären Halbfinale am späteren Sieger Niederlande mit 1:2. Das Siegtor von Marco van Basten in der 88. Minute versetzte ganz Holland in einen einzigen Jubelrausch. Zwei Jahre später gelang den Deutschen die Revanche, im WM-Achtelfinale von Mailand gewann die Beckenbauer-Elf ebenfalls mit 2:1. Den Europameistertitel 1988 aber sicherten sich die spielstarken Holländer, im Finale schlugen sie die Sowjetunion in München mit 2:0.

Schweden 1992

 

Die Schweden galten 1992 natürlich nicht als Turnierfavorit, auch wenn das letztmals mit acht Teilnehmern ausgetragene Turnier leichter zu gewinnen war als heute. Hatte man die Vorrundengruppe auf einem der ersten beiden Plätze abgeschlossen, zog man auch schon ins Halbfinale ein. Das gelang den Gastgebern auch, nach zähem Ringen. Im ersten Spiel der Gruppe 1 mussten sich die Gelbblauen mit einem 1:1 gegen die Franzosen zufrieden geben, im zweiten Spiel gelang ein knappes 1:0 über Dänemark.

Im entscheidenden dritten Spiel gegen England drehten die Schweden durch Tore von Jan Eriksson (51.) und Tomas Brolin (82.) das Spiel und zogen in die Vorschlussrunde ein. Dort wartete Weltmeister Deutschland und stellte eine zu hohe Hürde dar. Zwei Riedle-Tore und ein Treffer von Thomas Häßler waren zu viel, um das Finale noch erreichen zu können. Andersson und Brolin trafen jeweils einmal, und so hieß es am Ende 2:3. Für die Schweden war der Halbfinaleinzug dennoch ein großer Erfolg. Die Deutschen unterlagen im Endspiel dann sensationell dem Überraschungsteam aus Dänemark mit 0:2.

England 1996

 

Seit dem WM-Titel von 1966 hatte die englische Nationalmannschaft keinen Titel mehr gewonnen, bei der EM im eigenen Land sollte dies nun endlich wieder gelingen. Nach einem müden 1:1 gegen die Schweiz im Auftaktspiel gelang den starken Gastgebern ein 2:0 über Schottland (mit Paul Gascoignes legendärem Tor zum 2:0) und ein 4:1 gegen die Niederlande.

Im Viertelfinale setzte sich die Truppe von Nationaltrainer Terry Venables dann äußerst glücklich gegen Spanien durch. Den Iberern wurden zwei reguläre Tore aberkannt, bevor sie später im Elfmeterschießen mit 2:4 unterlagen. Im Halbfinale trafen die Engländer dann auf Erzrivale Deutschland. Das Spiel wurde zu einem legendären Schlagabtausch, bei dem am Ende das glücklichere Ende für die von Berti Vogts trainierten Deutschen stand. Sie setzten sich hochdramatisch im Elfmeterschießen durch. Englands Träume vom Titel im eigenen Lande zerplatzten äußerst schmerzhaft an diesem Sommerabend im Londoner Wembleystadion. Bis heute erreichte keine englische Nationalmannschaft wieder ein Halbfinale bei einem großen Turnier. Deutschland spielte im Finale ein weiteres legendäres Spiel und schlug die starken Tschechen durch das Golden Goal von Oliver Bierhoff.

Niederlande und Belgien 2000

 

Erstmals fand die Europameisterschaft im Jahre 2000 in zwei Ländern statt. Belgien und die Niederlande agierten erstmals in der Geschichte des Fußballs als Co-Gastgeber. Von den Belgiern wurde expertenseitig wenig erwartet. Leider konnte die Mannschaft von Trainer Robert Waseige diese Erwartungen denn auch nicht übertreffen. Nach einem Sieg im Auftaktspiel gegen Schweden unterlagen die Belgier anschließend Italien (0:2)  und überraschend auch der Türkei (0:2) und schieden aus.

Den Niederländern hingegen wurde der Titel im eigenen Land durchaus zugetraut, inbesondere nachdem ihnen in der Vorrunde ein Sieg gegen den amtierenden Weltmeister Frankreich (3:2) und im Viertelfinale in Rotterdam eine fulminante Vorstellung gegen Juoslawien (6:1) gelang. Im Halbfinale warteten die starken Italiener, die nach 34 Minuten einen Platzverweis gegen Zambrotta zu verkraften hatten.

Der Sieg der Holländer schien nun nur noch Formsache, aber das Schicksal wollte es anders. In der 39. Minute verschoss erst Frank de Boer einen berechtigten Foulelfemeter, in der 62. Minute setzte Patrick Kluivert den zweiten zuerkannten Strafstoß an den Pfosten. Die Italiener retteten sich in die Verlängerung und später ins Elfmeterschießen, wo erneut Frank de Boer und zwei weitere Niederländer vom Punkt scheiterten. Oranje schied aus und versank im Tal der Tränden. Italien unterlag im Finale den Franzosen dann ähnlich dramatisch nach einem Golden Goal von David Trezeguet mit 1:2.

Portugal 2004

 

Es fing schon schlecht an. Gastgeber Portugal um den noch jungen Shootingstar Cristiano Ronaldo verlor das Auftaktspiel gegen den krassen Außenseiter Griechenland mit 1:2. Im weiteren Turnierverlauf aber fingen sich die Portugiesen. Im entscheidenden Spiel um den Einzug ins Viertelfinale gelang ein dramatisches 1:0 gegen Spanien. Im Viertelfinale folgte eine spektakuläre Jahrhunderschlacht gegen England, die erst im Elfmeterschießen gewonnen werden konnte.

Sehr viel souveräner geriet der Sieg im Halbfinale gegen die Niederlande, ein überzeugendes 2:1 in Lissabon, nach Toren von Ronaldo und Maniche. Im Finale wartete erneut das Überraschungsteam aus Griechenland, und ganz Portugal war siegessicher. Aber erneut trumpfte das von Otto Rehhagel trainierte Hellas auf und erzielte durch Angelos Charisteas in der 57. Minute das spielentscheidende 1:0. Der sicher geglaubte Pokal wurde den Gastgebern damit direkt vor der Nase weggeschnappt. Während die portugiesischen Fans untröstlich waren, versank ganz Griechenland in einem tagelangen Siegesrausch.

Österreich und Schweiz 2008

 

Beide Gastgebernationen zählten 2008 nicht zu den Favoriten auf den Titelgewinn. Allein ihre bisherige Turnierhistorie war wenig ermutigend. Österreich hatte zuletzt 1998 überhaupt an einem großen Turnier teilgenommen. Die Austria startete mit einem 0:1 gegen Kroatien, rettete im zweiten Spiel gegen Polen in der Nachspielzeit ein 1:1 und setzte alles auf das letzte Gruppenspiel gegen Erzfeind Deutschland, unterlag dort aber durch ein Weitschusstor von Michael Ballack 0:1 und schied mit nur einem einzigen erzielten Tor im Turnier aus.

Den Schweizern erging es nicht besser, obwohl man ihnen zumindest den Sprung ins Viertelfinale zugetraut hatte. Doch bereits die erste Partie ging mit 0:1 gegen Tschechien verloren, so dass es im zweiten Spiel gegen die Türkei bereits um alles ging. In der „Wasserschlacht von Basel“ unterlagen die Eidgenossen aber auch hier und waren damit frühzeitig gescheitert. Der Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Portugal war dann letztlich wertlos. Den Titel sicherten sich später die aufstrebenden Spanier mit einem verdienten 1:0 im Finale gegen Deutschland.

Polen und Ukraine 2012

 

Wie schon 2008 sollte es auch vier Jahre später überraschend keinem der beiden Co-Gastgeber gelingen, über die Vorrunde hinauszukommen. Dabei waren beide Teams zuvor von den Experten hoch eingeschätzt  worden, vor allem die Polen hatten mit Spielern wie Robert Lewandowski, Jakub Blaszczykowski oder Lukasz Piszczek eine schlagfertige Truppe beisammen.

Im Eröffnungsspiel in Warschau gingen die Polen denn auch früh mit 1:0 gegen Griechenland in Führung, konnten dieses Ergebnis aber nicht über die Zeit retten, Endstand war 1:1. Als den Polen auch im zweiten Spiel gegen Russland nur ein Remis glückte, lag alle Hoffnung auf der abschließenden Partie gegen Tschechien, welche überraschend mit 0:1 verloren ging. Unerwartet früh verabschiedeten sich die tief enttäuschten Gastgeber aus dem Turnier.

Die Ukraine startete deutlich besser ins Turnier, mit einem 2:1 gegen Schweden. Im zweiten Spiel allerdings setzte es beim 0:2 gegen Frankreich einen empfindlichen Dämpfer. Im dritten Spiel gegen England musste ein Sieg her, doch nach dramatischem Kampf, Wetterkapriolen und Fehlentscheidungen des Schiedsrichtergespanns stand letztlich ein 1:0-Sieg der Three Lions zu Buche, der die Ukrainer mit leeren Händen dastehen ließ. Der Titel ging dann später erneut an die souverän aufspielende Spanier.

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