Verhinderte Sieger

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Bei der abgelaufenen Europameisterschaft zählte die deutsche Nationalmannschaft zu den Top-Favoriten auf den Titel, scheiterte dann jedoch an Gastgeber Frankreich im Halbfinale. Für viele Fans und Experten galt das Team von Bundestrainer Joachim Löw als stärkstes Team im Teilnehmerfeld. Im Fußball aber gewinnen nicht immer die besten Teams, denn Fußball ist manchmal ein reiner, ungerechter und mitunter brutal schmerzhafter Ergebnissport.

Wir haben uns einmal zehn Teams angesehen, die in der Historie der Fußball-Europameisterschaften absolut das Zeug gehabt hätten, den Titel zu gewinnen – es letztlich aber nicht geschafft haben, aus unterschiedlichsten Gründen. Bühne frei für die Galerie der Gescheiterten…

Niederlande 1992

Die Holländer gingen als klarer Favorit auf den EM-Titel ins 1992er Turnier in Schweden, und spielten bis zum Halbfinale ein überzeugendes Turnier, wenn das Team auch etwas in die Jahre gekommen war. Dies sollte ihnen im Halbfinale gegen das Überraschungsteam aus Dänemark zum Verhängnis werden, da die Dänen mit ihrem erfrischenden Angriffsfußball eine nicht zu überwindende Hürde darstellten und im Tor Peter Schmeichel hatten, der den Oranjes im Elfmeterschießen den Zahn zog.

Spanien 1996

Die Spanier spielten eine starke Vorrunde und gingen leicht favorisiert in das Viertelfinal-Duell mit Gastgeber England, in dem ihnen bereits in der ersten Hälfte zwei reguläre Tore gelangen. Beide wurden jedoch fälschlicherweise aberkannt, so dass sich die Engländer ins Elfmeterschießen retten und die Iberer dort 4:2 bezwingen konnten. Das einzige Elfmeterschießen überhaupt, welches England je gewinnen konnte, zum Leidwesen der zuvor klar benachteiligten Spanier.

Portugal 2004

Trotz der Auftaktniederlage im ersten Spiel gegen Griechenland und einem Zitterspiel im abschließenden Vorrunden-Duell gegen den Erzrivalen aus Spanien (1:0) konnten die Portugiesen sich im Viertelfinale spektakulär gegen England durchsetzen (Sieg im Elfmeterschießen) und im Halbfinale überzeugend die Niederlande mit 2:1 bezwingen. Alles stand bereit für den großen Triumph im eigenen Land, aber Otto Rehhagels Griechen hatten andere Pläne und schnappten den Portugiesen den Pott vor der Nase weg. Siegtorschütze Angelos Charisteas ging auf ewig in die Geschichte des griechischen Fußballs ein, und der nach dem Schlusspfiff weinende Cristiano Ronaldo würde zwölf Jahre warten müssen, um diese Schmach auszuwetzen.

Spanien 1984

Die Vorrunde war schleppend angelaufen, zwei Unentschieden gegen Portugal und Rumänien verhießen nichts Gutes, und auch gegen Deutschland sah es lange nach einem Remis aus, bis Antonio Maceda in der 89. Minute zum 1:0 für Spanien traf, was die Iberer ins Halbfinale und Titelverteidiger Deutschland aus dem Turnier beförderte. Im Halbfinale konnte Dänemark im Elfmeterschießen bezwungen werden, im Endspiel ging es gegen Gastgeber Frankreich und seinen Superstar Michel Platini. Das bis zur 57. Minute offene Spiel wurde durch einen Torwartfehler von Luis Arconada entschieden, der einen harmlosen Freistoß unter dem Körper ins Tor rollen ließ. Frankreich gewann das Finale letztlich 2:0 und wurde erstmals Europameister.

Deutschland 1988

Der spätere Weltmeister stand bei der Heim-EM unter großem Druck, vor allem nach dem 1:1 im Auftaktspiel gegen Italien. In der Folge konnten Dänemark und Spanien allerdings überzeugend geschlagen werden, im Halbfinale warteten die starken Holländer. Trotz einer 1:0-Führung kurz nach der Pause konnten die Mannen um Matthäus und Klinsmann die Führung nicht über die Zeit bringen, zwei späte Tore der Oranjes brachten das Team von Rinus Michels ins Endspiel, wo auch die Sowjetunion bezwungen werden konnte. Den Niederlanden gelang damit ihr bislang einziger Europameisterschaftstitel.

England 1996

Hätte, wenn und aber… Hätte Paul Gascoigne im Halbfinale gegen Deutschland das Golden Goal gemacht, wäre es niemals zum verhängnisvollen Elfmeterschießen gekommen, welches letztlich die Deutschen mit 6:5 gewannen. Er rutschte aber haarscharf an einer Hereingabe vorbei und verpasste den alles entscheidenden Treffer. Der Finaleinzug für eines der stärksten englischen Teams der letzten Jahrzehnte wäre folgerichtig gewesen, letztlich waren die Deutschen an diesem Abend das glücklichere Team. Bis heute ist kein englisches Team bei einer Welt- oder Europameisterschaft wieder ins Halbfinale vorgedrungen.

Deutschland 2012

Das deutsche Team gehörte zu den stärksten Mannschaften des Turniers, schlug in der Vorrunde Portugal, die Niederlande und Dänemark und zog als Gruppenerster ins Viertelfinale ein, wo Griechenland weitgehend chancenlos war. Im Halbfinale dann wartete Angstgegner Italien, den Nationaltrainer Löw mit einer taktischen Finte schlagen wollte. Dies ging leider völlig nach hinten los, schon zur Pause lag das Team um Kapitän Philip Lahm mit 0:2 hinten und schied letztlich mit 1:2 aus. Einem der talentiertesten deutschen Teams der deutschen Länderspielgeschichte fehlte der letzte Biss, um wirklich Europameister zu werden. Die Lehren daraus wurden zwei Jahre später beim WM-Turnier in Brasilien gezogen.

Niederlande 2000

Es war alles gerichtet für den Finaleinzug der Gastgeber. Die Holländer erwarteten in der Hölle von Amsterdam die Mannschaft aus Italien, die zudem ab der 34. Minute nur noch zu zehnt agieren konnte, nach einer gelb-roten Karte gegen Zambrotta. Trotz zweier zugesprochener Elfmeter in der regulären Spielzeit gelang den Oranjes kein Tor, und so konnten sich die Italiener ins Elfmeterschießen retten. Hier versagten den Holländern erneut die Nerven vom Punkt, so dass sie Italien ins Finale ziehen lassen mussten und ein Land in kollektive, oranjefarbene Staatstrauer versetzten.

Portugal 2012

Dass die Portugiesen beim diesjährigen Turnier auch endlich einmal „dran waren“, zeigt die Tatsache, wie knapp die Portugiesen nicht nur 2004, sondern zuletzt auch 2008 im Viertelfinale gegen Deutschland (2:3) oder zuletzt 2012 im Halbfinale an Spanien gescheitert sind. Gegen den späteren Europameister verlor das Team von „CR7“ erst im Elfmeterschießen. Besonders ärgerlich: Mitte der ersten Hälfte hatte Ronaldo die gesamte spanische Abwehr und Torhüter-Legende Iker Casillas mit einem feinen Heber düpiert. Der Ball war auf dem Weg ins Tor, aber da Stürmer Almeida den Ball noch mit der Stirn über die Linie drückte, wurde der Treffer aufgrund einer Abseitsstellung nicht gegeben. Im Elfmeterschießen waren die Spanier dann treffsicherer und holten dann letztlich auch den Titel, mit einem 4:0 gegen Italien im Finale von Kiew.

Belgien 2016

Die Belgier galten vor dem Turnier nicht nur als Geheimfavorit, sondern als einer der ganz heißen Anwärter auf den Gewinn des Europameistertitels. Nach einem unnötigen 0:2 im Auftaktspiel gegen Italien steigerte sich das Team von Trainer Marc Wilmots und zog souverän ins Achtelfinale ein, wo das Team aus Ungarn völlig chancenlos war und mit 4:0 nach Hause geschickt wurde. Ähnliches erwarteten viele Experten im Duell mit den überraschend starken Walisern, und nach der frühen Führung durch Nainggolan schien alles nach Plan zu laufen. Die Waliser, angeführt von ihrem Superstar Gareth Bale, schlugen jedoch empfindlich zurück, konnten vor der Pause noch zum 1:1 ausgleichen und drehten das Spiel in Hälfte zwei komplett. Das völlig verdiente 3:1 ließ Wales in den siebten Fußballhimmel aufsteigen und eine völlig verstörte Belgische Fußballseele zurück.

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