Von Berlin in die Welt: Fußball in Nordamerika – eine bittersüße Sache?

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Unser Gastautor Martin Lüthe konzentriert sich nicht, wie alle anderen derzeit, auf die anstehende Europameisterschaft in Frankreich, sondern wirft einen differenzierten Blick über den großen Teich. Ein absolut lesenswertes Essay über den Status des „Soccer“ in Nordamerika.

Eines vorne weg: entgegen aller Gerüchte und Theorien ist der Fußballsport in den Vereinigten Staaten und in Kanada natürlich sehr beliebt, sowohl als durchorganisiertes Profispektakel als auch als Betätigungsfeld in der Freizeit. Und man würde natürlich einen nennenswerten Fehler machen, wenn man nicht anerkennt und erkennt, dass der Frauenfußball – als Breiten- und als Profisport – in Nordamerika wahrscheinlich beliebter ist als sonst irgendwo auf der Welt.

Wenn man also, und die meisten tun das ja, dem Fußball irgendwo immer noch ein Imageproblem in Nordamerika und besonders den Vereinigten Staaten von Amerika attestiert, dann tun wir das eigentlich auf der Grundlage einer schon sehr spezifischen und engen Vorstellung davon, was Fußball eigentlich ist: professional geführter und vermarkteter Sport von Männern (und für Männer). Und wie wurde es vor kurzem an anderer Stelle so schön geschrieben und im Internet geteilt: dann ist das nicht mein Fußball!

Was hat es denn mit Fußball in Nordamerika auf sich? Wie verhalten sich die USA zum Fußball und umgekehrt? Hierauf gibt es eine Vielzahl von Reaktionen und Antwortversuche und sogar, an halbwegs prominenter Stelle, die Theorie vom „anderen amerikanischen Exzeptionalismus“, hier nicht bezogen auf ein größeres politisches und kulturelles Selbstverständnis, sondern den ganz spezifischen Umgang mit dem Fußballsport und der Sportkultur im Allgemeinen in den USA.[1].

Und die Vereinigten Staaten hier als Ausnahme zu verstehen, macht insofern Sinn, als das beim Betrachten der üblichen Parameter der Männerprofifußballsport eben nicht ein zentrales Element einer hegemonialen Sportkultur darstellt. Vor allem aber: er ist alles andere als konkurrenzlos, wenn es um Fernseheinnahmen, Spielergehälter, Werbeverträge und dergleichen geht. Die vier großen sind in den USA irgendwie die vier anderen: Baseball, American Football, Basketball und Eishockey.

Und, so banal dies auch klingt, dies erklärt dann auch schon in Ansätzen, warum wir von einem Imageproblem des Fußballs ausgehen und warum dies – aus europäischer Perspektive – gar ein Stück weit Sinn macht: die absolute Elite des Männerfußballsports spielt nämlich nicht in der Major League Soccer, so sehr diese sich auch versucht, in Schale zu werfen, sondern hier bei uns, also in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und natürlich England.

Für American Football und Basketball gilt dies genau andersherum. Und dieser Zustand ist einerseits historisch halbwegs stabil und träge und anderseits in gewisser Weise selbst beschleunigend; da, wo die besten Athleten spielen, wollen auch die anderen sein: die anderen Spieler, die Vermarkter, die Trainer, die Funktionäre und diejenigen, die wie auch immer mit dem Sport ökonomisch verbandelt sind.

So bleibt der Major League Soccer gegenwärtig eigentlich nur mit dem eigenen Modell – einer Profiliga für den eigenen Nachwuchs und für alternde Stars, die auch mal in New York City leben wollen – glücklich zu sein und dieses gegebenenfalls nach und nach weiterzuentwickeln. Für die NWSL (National Women’s Soccer League) gilt dies indes nicht und sie darf wohl zu den stärksten Frauenfußballligen der Welt gezählt werden. Dennoch verdeutlicht auch hier die relativ geringe Anzahl an Teams (gegenwärtig 10 Mannschaften) die Probleme des Profifußballsports in Nordamerika und die geschlechterspezifische Diskriminierung im Profisport allgemein. Zumindest hiergegen hat die Frauenfußballnationalmannschaft der Vereinigten Staaten zuletzt sehr medienwirksam geklagt.

Wer sich jedoch – jenseits des professionellen Sports – schon mal persönlich und in der Praxis mit dem Fußball in den Vereinigten Staaten auseinandergesetzt hat und hat erleben dürfen, der weiß, dass es überhaupt nicht schwer ist, interessierte Fans und KickerInnen zu treffen, und dass der Fußball als Freizeitaktivität in Nordamerika eindrucksvoll funktioniert, leidenschaftlich praktiziert wird und im vielleicht besten Sinne über kulturelle Grenzen verbindend wirkt.

In den typischen pick up soccer Spielen in den Parks der Vereinigten Staaten spielen mexikanisch-stämmige US-Amerikaner mit und gegen KickerInnen aus der Karibik, aus Europa und von sonst überall auf der Welt und über die Altersgrenzen hinweg. Der Freizeitsport Fußball in den USA profitiert hier vielleicht gar ein wenig von der Abwesenheit der stark institutionalisierten und organisierten Freizeitsportstrukturen, die wir zum Beispiel im deutschen Sportvereinswesen mit dem für diesen typischen Spielbetrieb manifestiert sehen.

In den USA gibt es zwar – wie bei uns hier auch – Kneipen- und Freizeitligen, die mehr oder weniger ambitioniert und gut organisiert daher kommen, diese stehen aber ihrerseits nicht auch noch in Konkurrenz zum Spielbetrieb in den lokalen Kreisklassen. Dadurch dass die Sportausbildung und Sporterziehung nahezu ausschließlich in den Bildungseinrichtungen, also den High Schools und Colleges, stattfindet, ist eine flächendeckende Vereinskultur in den Vereinigten Staaten nicht vorhanden.

Der eigentliche Freizeitkick – ohne Schiedsrichter, ohne regelmäßig angesetzte sportliche Vergleiche, ohne Training und Saison – macht in Nordamerika somit das Herzstück des Fußballspiels als Freizeitbetätigung von Erwachsenen aus. Und, wie wir alle wissen, steht dieser Typ des Spiels doch irgendwie sinnbildlich für das beste und das schlechteste am Fußball: von den ewig drohenden Absagen wegen schlechten Wetters und/oder mangelnder Anzahl SpielerInnen über das schönste Seitfallziehertor nach Hackendoppelpass und Außenristflanke bis hin zum „Bier danach“ hält der Kick im Park oder auf dem Bolzplatz alles bereit – diesseits wie jenseits des großen Teichs!

[1] Auch wenn ich mich davor hüten würde, diesen Autoren unkritisch zu begegnen: Markovits, Andrei & Steven L. Hellerman. Offside: Soccer and American Exceptionalism. Princeton UP, 2001.

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