Wechselspielchen

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Der Dortmunder Trainer Thomas Tuchel schlug zuletzt im Rahmen eines Interviews mit dem Branchenführer Sky vor, dass in Zukunft bis zu sechs Spielerwechsel im Laufe einer Partie möglich sein sollten, um mehr taktische Einflussmöglickeiten und ein geringeres Verletzungsrisiko zu erzielen. Eine Erörterung…

In gewisser Weise war es revolutionär, was Thomas Tuchel gestern zur Disposition stellte. Er schlug vor, dass pro Einwechslung jeweils zwei Feldspieler den Rasen betreten können und demnach bis zu sechs Tauschhandlungen zu vollführen seien. Um den Spielfluss nicht zu gefährden, wie wir es aus Freundschaftsspielen kennen, sollen diese Tausch-Aktivitäten stets im Verbund durchgeführt werden. Eine solche Änderung der Regularien würde das Spiel aber auch die Kaderplanung und damit die gesamte Vereinsführung entscheidend verändern und ist allein deswegen schon mal eine Überlegung wert.

Ausgenommen der Qualifikationsrunde zur Weltmeisterschaft 1954 war bis ins Jahr 1967 keine Auswechslung von Spielern möglich. Eine Einwechslung eines frischen Spielers für einen ermatteten oder gar verletzten war nicht vorgesehen. Die 90minütige Auseinandersetzung zwischen zwei Teams wurde bis dahin durch 22 Spieler ausgetragen. Eine Mannschaft, die saft- und kraftlos die letzten Minuten runterspielen musste, verlor demnach in den entscheidenden Minuten die Kontrolle über das Spiel. Dementsprechend war Spielkontrolle und das Einteilen der Kräfte das oberste Gut neben der Aufmerksamkeit gegenüber den eigenen Knochen und Bänder.

In der Saison 1967/68 war es dem Trainer einer Mannschaft erstmals erlaubt, einen Spieler ein- beziehungsweise auszuwechseln. Der erste Bundeliga-Spieler, dem die Ehre früher zum Duschen geschickt zu werden, zu Teil wurde war Arkoc Özcan vom Hamburger SV, für den schon in der 20. Minute Erhard Schwerin aufs Feld geschickt wurde – interessanterweise machte also ein Torhüterwechsel den Anfang. Nur ein Jahr später hatte sich das System bewährt, so dass ab der Saison 1968/69 sogar zwei Spielerwechsel möglich waren. Zur WM 1994 wurde diese Regel dann erweitert, dass zusätzlich zu den zwei Spielern ein Torhüter gewechselt werden kann. Diese Regel wurde dann nach einem Jahr Praxistest zugunsten der Möglichkeit zur dreimaligen Auswechslung ohne Einschränkung erweitert und hat nunmehr seit 21 Jahren Bestand.

Tuchel sieht in seinem Vorstoß sechs Wechsel vorzunehmen insbesondere drei gute Gründe: Gemeinschaftsgefühl der Mannschaft, taktische Varianz und einen Mehrwert an Unterhaltung.  Tuchel stellt die These auf, dass es „das Gemeinschaftsgefühl einer Mannschaft wahnsinnig verstärken (würde), wenn 16 Spieler spielen könnten“. Fortan würden nicht maximal 14, sondern sogar 17 Mannschaftsmitglieder am Spielgeschehen teilnehmen können. Eine höhere Fluktuation der Mannschaftsteile würde den Fokus weniger auf einzelne legen und demnach die Mannschaftsleistung in den Vordergrund rücken. Ähnlich wie beim Handball oder Basketball könnte ein Kollektiv entstehen, welches weitestgehend unabhängig von Spielminuten sich für den Verein einsetzt, da so gut wie jeder auf seine Einsatzzeiten kommen würde. Eventuell würde aber auch nur die Schnittstelle zwischen Stammmannschaft und Ergänzungsspieler weiter nach hinten versetzt werden und der Bruch des Kollektivs weiter im Hintergrund stattfinden.

Ein spannender Aspekt der Idee Tuchels ist die erweiterte Möglichkeit zur taktischen Einflussnahme. Je nach Spielsituation und Belastung könnte intensiver von der Bank aus reagiert werden. Die Spielgeschwindigkeit könnte einhergehend auf einem hohen Niveau bis zum Ende des Spiels gehalten werden und so für weitere Brisanz sorgen. So weit so gut, doch würde dies gleichsam bedeuten, dass Vereine des oberen Drittels noch mehr ihre ohne ohnehin überfüllten Kader aufblähen würden, um für jedwede Situation gewappnet zu sein. Dies würde zu Lasten der kleineren Vereine gehen, die ihre an die Vereine mit größeren finanziellen Möglichkeiten abgeben müssen. Zudem wäre es für eben diese Kleinen noch schwieriger konkurrenzfähig zu sein, denn 14 gute Spieler ist schon eine Herausforderung, dementsprechend schwieriger wäre es 17 Spieler aufzubieten. Hierin läge also ein Wettbewerbsnachteil für die Underdogs. Ein Vorteil daran könnte die leichtere Integration des fußballerischen Nachwuchses in das Spielgeschehen sein. Für die Gesamtentwicklung des Sports also eventuell ein Gewinn, während nur wenige Vereine davon profitieren.

Zuguterletzt verspricht sich Tuchel von der Möglichkeit mehr Spieler einsetzen zu können, einen Mehrwert an Unterhaltung und Spaß für die Zuschauer, die mehr ihrer Helden und Idole präsentiert bekommen würden. Ein eigentlich schöner Gedanke, der die Fans in den revolutionären gedankengang integriert und gleichsam eine geschickte Inszenierung Tuchels, der damit die Zuschauer mit ins Boot holen möchte, um die Idee breitenwirksam zu positionieren. Zu vermuten ist durchaus, dass für die Fans das Spielgeschehen noch spannender und variabler werden würde. Es würde noch mehr Raum geben für Taktiktüftler und Besserwisser. Hierin liegen durchaus Potentiale, die Vorteile sind jedoch nur bedingt erkennbar, da es sich lediglich um das Prinzip „Höher, schneller, weiter“ gehen würde – ein Prinzip, welches dem Fußball im letzten Jahrzehnt nicht unbedingt geholfen hat.

Als erste Fazit lässt sich feststellen, dass Tuchel hier einen spannenden Impuls gesetzt hat. Als Vorteile ließen sich erweiterte taktische Möglickeiten und erhöhte Spannung bei einem niedrigerem Verletzungsrisiko festhalten. Auch die Abteilung Marketing dürfte sich über weitere Werbeflächen freuen. Der große Nachteil liegt aber in der weiteren Manifestation der Verhältnisse zwischen den Clubs. Die reichen und erfolgreichen Vereine würden noch raumgreifender die perspektivreichen Spieler für sich gewinnen wollen. Diese hätten dann aber wohl auch eine größere Chance sich bei ihren Traumvereinen durchzusetzen. Mal schauen, in welche Richtung sich diese Diskussion noch entwickelt…

 

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