„The Games must go on.“

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von Björn Leffler

Wenn man sich mit dem Thema Terror und Sport beschäftigt, gibt es ganz konkrete Schlagworte, ganz einschneidende Erlebnisse, um die man nicht herum kommt, und die – nicht nur in der Welt des Sports – ähnlich prägnant sind wie der 11. September 2001 oder das Kennedy-Attentat. Seit Jahrzehnten stehen sie, unverrückbar, unausweichlich, unvermeidbar, wie drohende Solitäre, wie mahnende Denkmäler: München 72. Atlanta 96. Boston 2013.

So gern man sie verdrängen, vergessen, ignorieren würde – und diese Versuchung ist sicher groß, das ist rein menschlich – so unmöglich ist eben dieses. Verdrängen, ignorieren.

Natürlich könnte man heute die Geschichte der Olympischen Sommerspiele von 1972 so erzählen, wie sich die Macher das vorgestellt hatten. Die „heiteren Spiele“ sollten es sein, der komplette Gegenentwurf zu den von den Nationalsozialisten missbrauchten, finsteren Spielen von 1936 in Berlin. München sollte ein weltoffenes und tolerantes Deutschland präsentieren, und tat das auch.

Bis zum 5. September 1972, als ein palästinensisches Terrorkommando in das kaum gesicherte olympische Dorf eindrangen. Auch die lockeren Sicherheitsvorkehrungen waren Teil des Olympia-Konzeptes. Die Terrorgruppe nahm elf israelische Sportler als Geiseln. Beim späteren Befreiungsversuch durch die deutsche Polizei starben alle elf Sportler. Olympia 72 wurde und wird seitdem, bis heute, vor allem mit diesem Terrorakt in Verbindung gebracht, der auf so tragische Weise endete.

Die „heiteren Spiele“ wurden somit zum ersten Schauplatz, an dem der Sport durch den Terrorismus instrumentalisiert, benutzt und dramatisch geschädigt wurde. Die politischen Auswirkungen waren enorm. Nicht nur dass die Bundesrepublik Deutschland als Folge der Anschläge eine militärisch ausgerichtete Polizeieinheit zur Terrorbekämpfung, die „GSG 9“, einführte. Die Reaktion Israels auf die Anschläge war deutlich drastischer. In den Jahren und Jahrzehnten nach den Anschlägen führte der Geheimdienst Mossad einen brutalen Rachefeldzug gegen die Urheber des Attentats, der auch vor Kollateralschäden nicht haltmachte.

Alle Mittäter des Anschlags wurden – bis auf ein Mitglied, welches sich heute im afrikanischen Raum versteckt hält – vom Mossad verfolgt und ermordet. Seit den Spielen 1972 gelten für israelische Sportler oder Sportereignisse, an denen das Land Israel teilnimmt, strenge und enorm hohe Sicherheitsanforderungen.

Das zweite wichtige Ereignis in der oben aufgeführten Reihe sind die Anschläge während der Olympischen Sommerspiele 1996 in Atlanta, als der Einzeltäter Eric Rudolph am Abend des 27. Juli in der Nähe des Olympiastadions eine Bombe zündete, wodurch zwei Menschen starben und 111 verletzt wurden. Den Olympischen Sommerspielen in der U.S.-Metropole haftet dieser Anschlag allerdings nicht ganz so bleiern an, wie das bei den Olympischen Sommerspielen 1972 der Fall ist. Aber trotzdem kommt keine Sportberichterstattung ohne die Erwähnung dieses Attentats aus, das einen traurigen Schatten auf diese Spiele legte.

Das dritte Datum in dieser traurigen Aufführung ist der Boston-Marathon von 2013, bei dem drei Menschen getötet und 264 verletzt wurden. Zwei Einzeltäter, von denen einer während der spektakulären Flucht getötet und der andere, sein Bruder, später gefasst wurde, hatten zwei Rucksäcke mit Sprengsätzen im Zieleinlauf platziert. Seit den Anschlägen vor zwei Jahren wird nun jedes Jahr den Opfern des Boston-Attentats gedacht, und der Lauf wird wohl immer damit leben müssen, in einem Atemzug mit den Worten Terror, Anschlag oder Attentat genannt zu werden. Das bittere Erbe, das niemand haben möchte, das man aber leider nicht abschütteln kann.

Zwischen diesen prominenten Beispielen gibt es noch einige weitere, die der breiten Öffentlichkeit nicht ganz so präsent, so geläufig sind: 2008 beispielsweise wurde die Rallye Dakar – erstmals in ihrer Geschichte – aus Sicherheitsbedenken abgesagt. 2010 wurde während des Afrika-Cups der Bus der togolesischen Nationalmannschaft von einer angolanischen Terror-Einheit angegriffen, wobei drei Menschen ums Leben kamen. Togo beugte sich der Gewalt und sagte daraufhin die Teilnahme am Turnier ab.

Und seit Freitagabend, nachdem drei Sprengsätze Mitte der ersten Hälfte des Fußball-Länderspiels Frankreich gegen Deutschland explodierten und den sportlichen Wettstreit zur bitteren Trivialität werden ließen, ist diese traurige Aufführung um ein weiteres Kapitel ergänzt. Und natürlich werden diese Ereignisse immer wie ein blutiger Schleier über den Erinnerungen an diesen Abend hängen. Die Anschläge von Paris haben auf schier unfassbare Weise gezeigt, dass die Explosionen am Stadion, bei denen letztlich „nur“ eine Zivilperson mit in den Tod gerissen wurde, nur eine Randnotiz waren neben dem unvorstellbaren Gemetzel, welches die Terroristen in der Pariser Innenstadt anrichteten.

Frankreich, das im kommenden Jahr Ausrichter der bislang größten Fußball-Europameisterschaft der Geschichte sein wird, sieht sich nun mit einer Mammutaufgabe konfrontiert: ein attraktives, fröhliches, gewaltfreies Turnier auszurichten, welches nicht von Sorge, ständiger Nervosität und übermäßigen Sicherheitsmaßnahmen dominiert wird. Man kann sich augenblicklich kaum vorstellen, dass dies den Organisatoren gelingen kann.

Und eben dies ist die traurige Erkenntnis der Ereignisse vom Freitag. Natürlich können wir jetzt unsere Solidarität zeigen, unseren Zusammenhalt demonstrieren, unseren Trotz und unsere Unumstürzlichkeit unterstreichen. Das tun wir auch, und das ist gut und richtig so. Aber gleichzeitig wurde uns einmal mehr vor Augen geführt, wie verletzlich wir sind, wie nebensächlich der Sport plötzlich wird, wie kompromisslos der Terrorismus in seiner gewalttätigen, blinden Wut ist.

Die unschuldige, naive Begeisterung für den Sport, die Ablenkung vom Alltag, die Freude am famosen Spiel und selbst der Ärger über Niederlagen werden getrübt durch den bohrenden Gedanken, den wir jetzt immer wieder im Hinterkopf haben werden, wenn wir vor dem Fernseher oder vor allem im Stadion sitzen, inmitten von tausenden von Menschen: „Alles unwichtig, wenn hier Menschen sterben müssen.“

Die Saat der Furcht und der Angst, die die Terroristen gesät haben, welche als erstes die unschuldigen Fans am Freitagabend im Stade de France traf, hat ihre Wirkung noch längst nicht verbraucht. Wenn morgen die deutsche Nationalmannschaft in Hannover auf die Niederlande trifft, werden die Sicherheitsvorkehrungen hoch sein, genauso wie die Angst vor neuerlichen Anschlägen, erneuten Schreckensmomenten. Jeder trägt es in sich, der eine mehr, der andere weniger, aber die Grundangst wird gegenwärtig und spürbar sein. Anspannung und Nervosität, die nichts mit der sportlichen Herausforderung zu tun haben, werden zum ständigen, unerwünschten Begleiter.

Genau diese Grundangst, diese Unsicherheit, die gilt es zu besiegen und – hier ist es dann wohl auch angebracht – ein stückweit zu ignorieren. Wenn dies gelingt, ist eine Rückkehr zur Normalität, die irgendwann wieder einkehren muss, möglich. Es ist ein beschwerlicher Weg, der auch Mut erfordert und möglicherweise auch Rückschläge bereithält, was wir nicht hoffen wollen.

Wenn der Terrorismus mit seinen feigen Anschlägen aber erreichen würde, dass wir uns nicht mehr trauten, auf Konzerte, in Bars, Restaurants oder in Fußballstadien zu gehen, dann hätten wir uns aufgegeben. Und den Kampf, den wir – völlig gewaltlos – leider kämpfen müssen. Es ist ein Kampf um die Selbstverständlichkeit einer toleranten und weltoffenen Kultur. Einer Kultur, in der Meinungsvielfalt und –freiheit zum Alltag gehören und nicht automatisch ein Todesurteil darstellen. Und wir kämpfen diesen Kampf schlicht und ergreifend dadurch, dass wir nicht aufhören, diese Kultur weiterzuleben. Auf der Straße, im Theater, im Kabarett, in der Disco und – natürlich, ja – im Sportstadion. Trotz der Unsicherheit, trotz der Angst. Es ist im Moment ein wenig so, als würden wir uns die Normalität erstmal ein wenig vorgaukeln müssen, bis sich die wirkliche Normalität wieder einstellt.

Am Tag nach dem fürchterlichen Massaker der Olympischen Spiele von München fand im Olympiastadion eine Trauerfeier statt, in Anwesenheit von 80.000 Menschen. Der damalige IOC-Präsident Avery Brundage hielt eine bis heute historische Rede, und sie beinhaltete einen Satz, der diese kraftvolle, trotzige Rede legendär werden ließen: „The Games must go on.“ Eine Botschaft, die genauso undenkbar wie logisch erschien und den Sport – in der Rückschau – über den Terrorismus siegen ließ. Denn bis heute gilt seit jenem Tag im September 1972 das Credo, dass der Sport sich nicht für politische Zwecke instrumentalisieren lassen will. Das ist ihm nicht immer gelungen, aber die Absichtserklärung war und ist klar. Wir machen weiter. Wir trauern um die Opfer, wir werden ihrer ewig gedenken. Aber wir beugen uns nicht der Gewalt.

Und diese Tradition gilt es nun fortzuführen, so schwer es im ersten Moment scheint. The Games must go on. Wir machen weiter.

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